Strafe für Weiterbildung: Gute Kurse, schlechte Kurse
Ein arbeitsloser Flüchtling ist Analphabet und spricht wenig Deutsch. Doch als er beginnt, Sprache und Schrift zu lernen, bekommt er Ärger mit der Arbeitsagentur
OLDENBURG taz | Seit vier Jahren lebt Adnan M. als Flüchtling in Deutschland, die Hälfte der Zeit hat er hier auch gearbeitet – in der oldenburgischen Fleischindustrie, etwas Besseres ist kaum zu kriegen, wenn man nur wenig Deutsch spricht und zudem nicht lesen und schreiben kann. Daran wollte der 31-Jährige etwas ändern, nachdem er im vergangenen Jahr arbeitslos wurde, und meldete sich für einen Sprach- und Alphabetisierungskurs bei der Interkulturellen Arbeitsstelle Ibis an. Seine Chancen, Arbeit zu finden, könnten sich dadurch nur verbessern, dachte der irakische Kurde. Behörden denken mitunter anders – die Arbeitsagentur strich ihm zeitweise sämtliche Ansprüche.
Durch den Integrationskurs habe er dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung gestanden, weshalb die Leistungen rückwirkend eingestellt worden seien, hatte ihm die Arbeitsagentur mitgeteilt, nachdem M. sie von seiner Teilnahme in Kenntnis gesetzt hatte. „Ganz arglos“, wie Ibis-Berater Peter von Rüden sagt, schließlich hatte ihm das Jobcenter zuvor zu einem solchen Kurs geraten. M. hat mit beiden Behörden zu tun, da sein Arbeitslosengeld zum Leben nicht reicht und mit ALG II aufgestockt wird.
M. hatte allerdings nicht angegeben, welchen zeitlichen Umfang der Kurs habe, erklärt Vanessa Bartels, Teamleiterin Arbeitsvermittlung in der Oldenburger Agentur, den Vorgang. Man sei daher davon ausgegangen, dass er in Vollzeit daran teilnehme, womit die Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld I entfielen. Rund 3.000 Euro sollte der Arbeitslose zurückzahlen. M. wiederum betonte, dass er den Kurs für ein Jobangebot ja jederzeit abgebrochen hätte. Aber auch das half ihm nicht: Zwar gibt es mit dem Paragrafen 139 Abs.3.2 im Sozialgesetzbuch III eine rechtliche Grundlage, die diese Form der Verfügbarkeit auf Abruf regelt – seit Ende November 2012 aber gibt es eine Weisung, nach der dieser Abschnitt explizit nicht mehr bei Integrationskursen zum Tragen komme. „Mir sind da die Hände gebunden“, sagt Bartels.
Stattdessen hätte M. an einem sogenannten EMS-Bamf-Kurs des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge teilnehmen können, hieß es. Die sind nach vereinheitlichten Standards aufgestellt und in Sachen Leistungsanspruch genau geregelt, teilt ein Sprecher der Bundesagentur mit. Von Rüden hält sie für den vorliegenden Fall für wenig sinnvoll: „Die richten sich vor allem an Fortgeschrittene“ und nicht an Menschen, die im Alphabetisierungsprozess stecken.
Anspruchsberechtigten Migranten bleibt ansonsten noch die Möglichkeit, Kurse in Teilzeit zu besuchen, aber auch da gibt es Stolperfallen, denn die Kurszeiten dürfen sich nicht mit den Verfügbarkeitszeiten überschneiden, die der Erwerbslose bei der Agentur angegeben hat. Im Falle Oldenburgs bedeutet das mitunter, dass sich Arbeitssuchende auf Stellen in Spät- oder Nachtschichten hin umorientieren müssen, denn Abendkurse gibt es hier nicht. „Man müsste dann ja fünf oder sechs Kurse anbieten, um allen Leistungsniveaus gerecht zu werden“, sagt von Rüden. „So viele Leute gibt es hier gar nicht, das ist eher für Berlin oder Hamburg realistisch.“
Es wirkt ein wenig, als wäre M. zwischen die Mühlsteine zweier Behörden geraten. Denn genau jener von ihm gewählte Kurs, der ihm nun Ärger mit der Agentur einhandelte, war noch im Oktober – also vor der zitierten Weisung – vom Jobcenter als Eigenbemühung anerkannt und in einer Eingliederungsvereinbarung dokumentiert worden. Während die eine Behörde Druck ausübt, einen solchen Kurs zu belegen, sieht ihn die andere mitunter als Störfaktor für die Arbeitsvermittlung – nicht nur für Migranten schwer zu durchblicken, und eine nicht beantwortete Frage reicht in diesem Räderwerk aus, um in finanzielle Not zu geraten.
Immerhin gibt es für M. ein Happy End: Seinem zunächst abgewiesenen Widerspruch hat die Agentur nach Klärung seiner Kurszeiten nun doch noch stattgegeben; er muss somit keine Rückzahlung leisten und darf auch seinen Kurs weiter besuchen. Eine gewisse Unsicherheit bleibt: Integrationskurs ist mittlerweile nicht mehr gleich Integrationskurs – und Verfügbarkeit Definitionssache.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen