■ Stoiber stellt deutsch-tschechische Erklärung in Frage: Im Trüben fischen
Noch vor fünf Wochen, genau am 12. September, nach dem Dreiergespräch mit Helmut Kohl und Klaus Kinkel im Kanzleramt, äußerte sich Edmund Stoiber äußerst zufrieden über den Stand der Arbeit an der deutsch-tschechischen Erklärung. Im Grunde genommen wäre sie fertig, es gäbe nur über kleine Nachbesserungen zu verhandeln. Erstaunt konnte man aus seinem Munde anerkennende Worte über den „starken Versöhnungswillen der tschechischen Regierung“ hören oder darüber, daß die Erklärung „von den breiten Schichten der tschechischen Bevölkerung getragen werden müsse“. Auch die unterschiedlichen Auffassungen, was die Vermögensfragen anbelangt, schienen ihm keine großen Schwierigkeiten zu machen.
So hatte man schon gedacht, die bundesdeutsche Posse um die deutsch-tschechische Erklärung würde endlich zu Ende gehen. Weit gefehlt. Edmund Stoiber hat sich es doch anders überlegt und gestern – Klaus Kinkel in dem weiten China wähnend – vor Journalisten grundsätzliche Zweifel an dem Sinn der Erklärung verlauten lassen. Ohne sie würde sich doch an den tschechisch-deutschen Beziehungen eigentlich nichts ändern. Es wäre keine Eile geboten, man könne doch ruhig ein oder noch besser drei bis fünf Jahre mit der Erklärung warten. Die Sudetendeutsche Landsmannschaft steht den Verhandlungen, so Edmund Stoiber, sowieso ablehnend gegenüber. Und hier liegt wohl der Grund: Eine Erklärung legt klar umrissene Grundlagen einer Politik fest. Und gerade das, diese Klarheit kann die Sudetendeutsche Landsmannschaft am wenigstens gebrauchen.
Denn dann müßte sich die Landsmannschaft auch endlich die Frage nach der Rolle der Sudetendeutschen im Vorfeld des Zweiten Weltkrieges stellen. Ohne eine Erklärung, die bestimmte Fakten festlegt und formuliert, kann die Landsmannschaft nach wie vor in den trüben Gewässern der unklaren, emotional verbrämten Forderungen fischen und unter Umständen mit bayerischen Regierungskreisen Handel mit sudetendeutschen Stimmen betreiben. Man kann je nach Belieben das Süppchen der Vermögensforderungen kochen und wieder erkalten lassen, wie es Franz Neubauer in den letzten sieben Jahren schon gemacht hat, um dadurch Unruhe und Ressentiments auf beiden Seiten der Grenze zu schüren. Und dann hat man wieder ein Thema für den nächsten Sudetendeutschen Tag, und auch die finanzielle Unterstützung für die Vertriebenen in Millionenhöhe fließt weiter. Daß der Kanzler zu all dem nach wie vor schweigt, weil ihm der Nachbarstaat zu unbedeutend scheint, ist allerdings das Beschämendste an der ganzen Sache. Alona Wagnerová
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