Stille Tage mit Berti: „Was heißt packen...?“
■ Kanzlertag – und Möller sucht nach Worten
Wenn man sich in der Mittagshitze auf die Stufen des Stadions Charles Ehrmann setzt und den deutschen Fußballern beim Training zuschaut, kann man interessante Dinge sehen. Zum Beispiel das Spiel eins gegen eins: Angreifer muß Verteidiger ausspielen. Es tritt auf: Der Kapitän. Jürgen Klinsmann nimmt den Ball, beschleunigt, macht dann einfach einen großen Bogen um Babbel – und ist vorbei. Dann kommt Thomas Häßler. Der bewegt sich in deutlich geringerem Tempo auf den Verteidiger zu. Hat er ihn erreicht, beginnt er mit seinen Haken. Beim dritten steht Reuter auf dem falschen Fuß, und er ist vorbei. Und nun: Oliver Bierhoff – der Torschützenkönig der italienischen Serie A, der Mann, der mehr Tore schoß als Ronaldo. Bierhoff rennt auf Babbel zu, und erst wenn er fast in ihn hineingerannt ist, hält er inne. Nun ist ein Moment da, der richtig rührend wirkt. Man spürt förmlich, wie er verzweifelt überlegt: Was tun? Er kommt aber zu keinem Ergebnis, jedenfalls nicht schnell genug, als daß Babbel nicht vorher gemächlich den Fuß rausstreckte und die Sache eher mitleidig als mitleidlos abschlösse. So geht das minutenlang. Und nun die Pointe: Das heißt natürlich nicht, daß Oliver Bierhoff nicht trotzdem Torschützenkönig dieser WM werden könnte.
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Juhu: Heute ist Freitag, heute kommt der Kanzler. 13.50 Uhr schwebt er in Nizza ein. 14 Uhr wird er der dort den Journalisten zur drängendsten Frage der Zeit zur Verfügung stehen. Wird Deutschland wieder Weltmeister? Er wird es hoffen: Die Erfahrungen der Geschichte lehren bekanntlich, daß ein solches Ereignis Einfluß auf einen Wahlausgang haben kann – oder auch nicht. Als Englands Keeper Gordon Banks 1970 kotzte und Peter Bonetti dafür drei Tore gegen die Deutschen fing, war klar, daß auch Titelverteidiger Labour abgewirtschaftet hatte. Im übrigen hat Berti Vogts eine Verpflichtung: Als er 1994 schwächelte, hielt ihn der starke Kohl im Amt. Der Kleinenbroicher, wie man ihn nicht nennt, würde das sicher gerne tun. Die Frage ist nur: Können auch andere riskieren, daß Deutschland auf diese Gefahr hin Weltmeister wird? Jürgen Klinsmann hat sich zu dieser Frage gestern eindeutig geäußert: „Wir haben unsere Probleme“, sagte der DFB-Kapitän, „der hat seine.“
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Dem DFB-Fußballer Andreas Möller beim Sprechen zuzuhören ist ein Abenteuer. Man weiß nie, ob es schlecht ausgeht. Man ahnt es aber. Unwillkürlich stellt sich der Zuhörer die ewige Möller-Frage: Wann packt er es endlich? Hat er einen Ball am Fuß, beschleunigt er immerhin auch mal und bremst nicht mehr, bis das Ding im Tor ist. Hat er einen Satzanfang, verzögert er, fährt sich mit der Zunge über den Mund, sagt dann gequält: „Was heißt packen...?“ Und schon verlieren sich aneinandergereihte Worte, bis er in einem semantischen Nirgendwo landet, von dem er am Satzanfang nicht einmal träumen durfte. Was eine Art von Konsequenz ist, schließlich will er sich sowieso stets „jetzt auch nicht festlegen“. Nun soll hier keinesfalls auf dem ewigen Vorurteil herumgetrampelt werden, Fußballer brächten keinen geraden Satz heraus – Olaf Thon ist ein brillantes Gegenbeispiel („Wer spielt? Das ist sicherlich eine interessante Frage.“). Es soll nur mitgeteilt werden, daß die Sache auch für Möller nicht schön sein kann, weshalb es vielleicht besser wäre, zukünftig zum Wohle aller davon abzusehen. Allerdings, um nun völlig inkonsequent zu werden, ginge einem ab und an auch etwas verloren. Das zum Beispiel: „Ich habe im Laufe der Jahre versucht, sehr selbstkritisch zu sein – auch mir gegenüber.“ Peter Unfried
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