piwik no script img

Stilfrage: Trendsetter oder TerroristHip ja, Obdach nein

Trendiger Hipster oder Penner - der Hobo-Style ist herrlich uneindeutig. Unser Autor wird beschimpft, weil er Bart und Walle-Kleidung trägt. Ist er ein Hobo-Hipster?

"Rasier dich mal, du Penner!" Dass der Hobo-Stil den Autor verfolgt, ist wohl vor allem seinem Vollbart geschuldet. Bild: Anja Weber

Hipster!", "Terrorist!", "Hippie!": Das sind nur einige Beschimpfungen, die mir hinterhergerufen werden. Meine Kleidungswahl und Gesichtsbehaarung löst bei Menschen starke Reaktionen aus. Letzte Woche brüllte ein Mädchen mit Acrylfingernägeln und weißen Boots im Bus "Rasier dich mal, du Penner!"

Es geht um den "Hobo-Stil", der sich allmählich in den Alltag schleicht - und irritiert. Er ist keine Art der Rebellion, wie es in den Neunzigern der Grunge mit seinen Lagenlooks, zerrissenen Hosen und Chucks war. Doch ähnlich wie beim Grunge geht auch diese Mode Hand in Hand mit der Musikindustrie - oder andersrum. Die Musik bärtiger Folkmänner wie Scott Matthew dominiert die iPhones der Hipster. Es sind mit zarter Stimme vorgetragene Lieder über Wälder, Liebe und Freiheit. Mehr Hobo-Romantik geht nicht.

Der Begriff Hobo tauchte das erste Mal gegen 1890 in Amerika auf - Hobos, das waren heimatlose Wanderarbeiter. Den Höhepunkt erlebte die Hobo-Kultur während der "Great Depression". Die Hobos lebten ein freies Leben und nahmen Gelegenheitsjobs an. Sie benutzen einen Zeichencode, der andere Hobos vor Gefahren schützen sollte, verfügten über eine eigene Terminologie und ein ethisches Regelwerk. Regel Nummer 1: "Nimm dein Leben selbst in die Hand, lass keinen anderen Menschen über dich bestimmen."

Ein Grundsatz, mit dem auch folgende Generationen etwas anfangen konnten - und können. Bob Dylan sang "I Am a Lonesome Hobo", Jack Kerouac widmete ihnen einen Essay, und erst kürzlich erschien ein Roman von William T. Vollmann, der das Thema aufgreift.

Konfrontation im Nahverkehr

Die Hobos selbst grenzten sich stets von Obdachlosen oder Vagabunden ab, sie begriffen sich als Arbeiter - obgleich sie stilistisch vieles gemeinsam hatten. Ähnlich verhält es sich auch mit dem aktuellen Hobo-Hipster-Stil: War noch 2009 der "Penner-Look" in aller Munde beziehungsweise auf allen Laufstegen, ist es nun, zwei Jahre später, der Hobo-Style. In Berlin-Mitte etwa ist es ein gängiger Scherz, gerade nicht zu wissen, ob ein trendiger Hipster oder ein Penner neben einem in der Bar steht.

Makaber, aber nicht ganz unbegründet. Der Modezirkus hatte schon immer eine Vorliebe für Gruppierungen außerhalb der gesellschaftlichen Norm. Homosexuelle, Punker, Junkies: Alle wurden sie schon dem Verwertungskreislauf anheim gegeben. Und ich? Bin ich nun selbst ein Hobo? Die Konfrontation im Nahverkehr löste bei mir etwas aus.

Mein Umfeld vermutet hinter meinem Stil ein Konzept. Das irritiert mich. Ich trage meistens nur Schwarz und das aus Faulheit. Meine Kleidung ist weit und ein wenig "walle walle". Mir ist ständig kalt, also trage ich mehrere Lagen übereinander. Es hat sich einfach über die Jahre entwickelt.

Mode ist Kommunikationsmittel, Schutzschild und Gefühlsbarometer - der französische Philosoph Roland Barthes sagt, sie spräche eine eigene Sprache. Aber was sagt mein persönlicher Kleidungsstil? Bin weder Hippie noch Terrorist und auch kein Hipster. Ich wache nicht morgens auf und überlege, was ich anziehe oder wer ich sein will - es ist ein intuitiver Prozess. Das Geheimnis liegt also wenn in der Absichtslosigkeit.

Sinnbild für Testosteron

Der Hobo-Stil verfolgt mich trotzdem, und das ist wohl vor allem meinem Vollbart geschuldet. Der steht offenbar für ein ungepflegtes Äußeres und spricht somit für Obdachlosigkeit. Warum mein Bart so lang ist? Ich weiß darauf keine rechte Antwort. Er wärmt mich. Und ohne Gesichtsbehaarung sähe ich aus wie ein Zwölfjähriger.

Ein Vollbart ist natürlich männlich - und ihn zu tragen offenbart einen gewissen Mut zur Hässlichkeit. Ist das ein Kalkül meinerseits? Andererseits trug schon mein Vater Vollbart, eventuell passe ich mich ihm einfach nur an. Mein Bart ist ständig Gesprächsthema. Er ist mal Sinnbild für Testosteron, mal steht er für eine Verweigerungshaltung gegenüber gesellschaftlichen Normen und Regeln, die da besagen: Adrette Kleidung und gepflegtes Gesichtshaar bedeuten Seriosität und Wohlstand, Schlabberklamotten und Vollbart Terrorismus und Obdachlosigkeit. Menschen lassen sich von Äußerlichkeiten blenden. Ich aber will mit Hobo-Hochglanzstrecken in Magazinen und Hobo-Models in Mailand und Paris nichts zu tun haben - sehe aber irgendwie so aus. Hobo! Ich?

Der Hobo-Stil ist nicht an sich politisch, doch steht er für desintegrierte Existenzen, für eine Sinnsuche, die Flucht aus dem bürgerlichem Leben und die Rückbesinnung zur Natur. Und diese Mode stellt Fragen: Was ist eigentlich Heimat? Wo werde ich Arbeit finden? Und wird es mir gelingen, mein Leben so zu leben, das niemand anderer über mich bestimmt? Ich, Hobo.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

20 Kommentare

 / 
  • N
    neckruessel

    das foto ist daneben. und wie jemand hier schon anmerkte: diese turnschuhe schreien fashionvictim, das ganze outfit ist wie aus berlinstyleblog abgekupfert und sieht gesucht aus. männer die über mode nachdenken haben sonst keine probleme.......

  • P
    Piet

    Also, "natürlich männlich"

    schaut für mich immer der Mann aus,

    dessen Körpersprache

    gelassene Dominanzsignale abstrahlt.

     

    Ein Mann, dem dieses Körperbewußtsein abgeht,

    wird immer mehr oder weniger harmlos erscheinen.

     

    An der Wirkmächtigkeit solch elementarer Biologismen

    ändern auch ein Gesichtspullover

    und "authentische" Minelle - genau nichts.

  • HS
    hobo sapiens

    naja, schon das hinterfragen des eigenen kleidungsstils zeugt von mangelnder authentizität.

     

    fashion victim

  • L
    laulele

    "Mur zur Hässlichkeit"?

     

    Was???

     

    Männer mit Bärten sind sexy!

    Der steht dir verdammt gut, dein Bart!!!

  • BW
    Bernhard Willhelm

    wer schuhe für 235 euro aus aktuellen kollektionen trägt dem ist sein outfit nicht egal

  • S
    sharewin

    Ich weiß nicht was ihr alle habt.. Ich fand die Glosse eigentlich sehr schön und unterhaltsam geschrieben.

     

    Auch den Aspekt mit dem Vollbarttragen als Mut zur Hässligkeit ist nicht aus dem Himmel gegriffen. Klar, herrscht in Geschmacksfragen selten ein Konsenz zwischen allen. Aber in unserer postmodernen, feminisierten Medienwelt ist jegliche Behaarung auf Körpern (ausgenommen das Haupthaar & Wimpern/Brauen), im ästhetischen Bewusstsein ganz klar auf dem Rückzug.

     

    Naja, nach so viel Kritik musste ich mal nen Lob dazwischen schieben.

     

    peace Y

  • JC
    Johnny Cynic

    Wer eine noch dazu fremde Subkultur als "style" nachäfft verdient es geächtet zu werden.

  • V
    vic

    Ach Enrico,

     

    "der aktuelle Hobo-Hipster-Stil"

     

    Wenn das wichtig ist, dann lass es besser.

  • JD
    John Doe

    So, so, hat sich also einfach so ergeben, dass genau der Stil den sie seit Jahr und Tag aus praktischen Erwägungen praktizieren auf einmal von den ganzen Hipstern für hip befunden wird. Halten sie uns Leser eigentlich für doof? Allein, dass sie hier in einem seitenlangen Artikel über derart nebensächliches reflektieren spricht doch dafür, dass ihnen ihre Garderobe ein zentrales Anliegen ist.

    Praktisch, soll er also sein, dieser Look. Na, den Hobo will ich mal sehen, der mit knallengen Jeans und feinen Wildlederschühchen durch die so wunderbar romantisch-matschigen Wälder streift. Und dann auch noch außerhalb der gesellschaftlichen Norm. Eigenartig nur, dass derlei textiler Aufzug im young urban professional-Milieu sich schon seit geraumer Zeit als Quasi-Uniformierung etabliert. Muss man denn wirklich versuchen noch den banalsten Mode-Mainstream ideologisch aufzuladen? Freiheit gibt´s nun mal nicht von der Stange zu kaufen, dafür musste schon, wie der olle Moriarty, den Daumen selbst in den Wind halten.

  • T
    Träumer

    Der "Hobo Style" lässt einen einfach träumen. Sich fallen lassen, das Leben nicht mehr so ernst nehmen, hart arbeiten aber auch viel geniessen.

     

    Und sie sind nicht allein Senor Ippolito. Ich hab zwar nicht ganz nen Vollbart, brauch aber auch immer etwas im Gesicht. Muss mir immer anhören, dass ich sonst aussehe wie 15 mit meinen über 30.

     

    Ist aber ein Kompliment, wir haben uns halt saugut gehalten :)

  • T
    T.V.

    Vollbärte sind mitnichten pauschal ungepflegt und hässlich wie hier suggeriert wird - und das noch von einem Träger, merkwürdig.

     

    Und was ist jetzt ein Hobo?

  • G
    Gunnar

    Ach die Scheizze!!!

    Ich glaub ich bin nen HOBO.

  • UD
    Und die Hornbrille?

    "Es geht um den "Hobo-Stil", der sich allmählich in den Alltag schleicht - und irritiert."

     

    "In Berlin-Mitte etwa ist es ein gängiger Scherz, gerade nicht zu wissen, ob ein trendiger Hipster oder ein Penner neben einem in der Bar steht. "

     

    "Warum mein Bart so lang ist? Ich weiß darauf keine rechte Antwort. Er wärmt mich. Und ohne Gesichtsbehaarung sähe ich aus wie ein Zwölfjähriger. "

     

    "Ein Vollbart ist natürlich männlich - und ihn zu tragen offenbart einen gewissen Mut zur Hässlichkeit. Ist das ein Kalkül meinerseits? "

     

    "Bin (...) auch kein Hipster."

     

    - No comment.

  • I
    ich

    selten so einen zusammengesponnenen rotz gelesen ...

    männer jeglicher gesellschaftsschicht tragen seit jahrtausenden vollbärte oder auch nicht neu oder aufregung irgendwelcher damen in den öffentlich wert ist daran nichts ausser das damit anstatt dem nicht vorhandenem sommerloch jetzt das herbstloch gestoppft wird ...

    schade taz ...

  • M
    malte

    wer will sowas lesen? könnt ihr das nicht der süddeutschen oder so überlassen?

     

    oder soll das witzig sein mi dem andauernden "penner"?

     

    würd dem autor einfach mal raten es durchzuziehen und auf der straße zu leben, oder die klappe zu halten.

  • F
    Falmine

    "Geschichtsbehaarung" - sehr gut! *lol*

    Hat so etwas Altes ... ;-))

  • Y
    yuppie

    yuppie bleibt yuppie da kann mensch noch so toll "analysieren"...

  • T
    Textman

    seit wann ist "hippi" denn nen schimpfwort? in meinem sprachgebrauch jedenfalls nicht

    bis denn

    textman

  • J
    jaybear

    > Ein Vollbart ist natürlich männlich - und ihn zu

    > tragen offenbart einen gewissen Mut zur Hässlichkeit.

     

    Hallo?

     

    Wenn Vollbart tragen = Häßlich ...

    ... dann wollte Gott uns Männers wohl häßlicher

    haben als formvollendete Weibliche Mitmenschinnen.

    ;-)

  • DF
    der finne sein kater

    Und auch Paul Simon sang schon:

     

    "Oh Papa Hobo

    You can see that I'm dressed like a schoolboy

    But I feel like a clown

    It's a natural reaction I learned

    in this basketball town"