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Stiefelfetischismus

Ein Filmprogramm im Metropolis-Kino demonstriert Die Fortsetzung des Krieges im Kino  ■ Von Tobias Nagl

Bis zum 20. Juli noch ist die Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht“ in der Freien Akademie der Künste zu sehen. Der Fortsetzung dieses Krieges mit den Mitteln des Kinos spürt eine Filmreihe im Metropolis nach – und macht deutlich, warum dieses Thema die Sensibilität so vieler zu verletzen scheint und wie sich die Mystifizierung der Rolle der Wehrmacht im nationalsozialistischen Angriffskriegs durch die Geschichte der Bundesrepublik perpetuierte.

Der erste deutsche Nachkriegsfilm, Wolfgang Staudtes Die Mörder sind unter uns von 1946, führt sein Programm der Vergangenheits-“Bewältigung“ bereits im Titel, sollte aber damit eher Ausnahme bleiben. Filme, die dieser Linie folgten, wie Peter Lorres grandios am Publikum gescheiterter Der Verlorene fünf Jahre später etwa, stießen bereits auf einen Nachkriegskonsens der Verdrängung, der schon so vollkommen vom Appell an den demokratischen Aufbau bestimmt war, daß er eine Erfahrung der Traumatisierung nicht mehr eingestehen konnte. Staudtes Werk stellt sich einer solchen immerhin – jedoch in einer Form, die jene problematischere Seiten bereits zu skizzieren scheint, die sich im Kino der 50er Jahre durchsetzten: Um die Jahreswende 1945/46 trifft der Arzt Mertens seinen ehemaligen Kompaniechef Brückner wieder, der einst polnische Geiseln erschießen ließ. Mertens kehrt innerlich zerrüttet aus der Gefangenschaft heim, Brückner hingegen weiß auch aus der neuen Situation Profit zu schlagen. Ausgangspunkt der Konfrontation ist die Kritik am soldatischen Gehorsam. Weil sich diese allein als moralische formuliert tritt der Nationalsozialismus darin auch nur als Exzeß zutage. Das moralische Problem Mertens wie Staudtes sind die unschuldigen Opfer – als hätte es schuldige Opfer gegeben, als wäre dieser Exzeß nicht Normalität und damit eben auch Auftrag der Wehrmacht gewesen.

Genau diese Idee der Unterscheidbarkeit ist es denn auch, die die Vorstellung der Wehrmacht als einer neutralen, „allein militärisch“ operierenden Institution begründete und mit der Wiederbewaffnungsdebatte zwischen 1950 und 1956 an Virulenz gewann. Filme wie G.W. Pabsts Es geschah am 20. Juli (1955) inszenieren so diesen Konflikt als institutionellen. In Papsts Rekonstruktion des Widerstands des 20. Juli kollidieren faschistische Militärs und Parteiführung mit den aristokratisch-demokratischen Militärs, die nota bene das „Ansehen Deutschlands“ retten wollen. Der Heldentot von Stauffenberg und „Tausend weiteren“ aufrechten Militärs bot nicht nur vielen Deutschen die Möglichkeit, sich selbst als Opfer zu imaginieren ohne den Holocaust auch nur mit einem Wort zu erwähnen, sondern auch eine ungebrochen heroische Linie innerhalb einer „demokratischen“ Militärtradition zu ziehen, die für den Aufbau der Bundeswehr aus den Ruinen der Wehrmacht mehr als notwendig war. Eigentlich waren wir alle Opfer der NSDAP, scheint diese Argumentation untergründig sagen zu wollen, insbesondere das Militär. In die Wehrmacht selbst verlegt die erfolgreiche dreiteilige Militärklamotte 08/15 (1954/55) von Paul May diesen Konflikt als Bemühen des von Joachim Fuchsberger dargestellten einfachen Soldaten, anständig zu bleiben. Zwischen dümmlich ansexualisierten Scherzchen, untersichtigem Stiefelfetischismus und sich zu lautem Trulala die Unterhosen zeigenden Offizieren kämpft der Gefreite Asch gegen den Drill des Apparats und um ein bißchen Landser-Kameradschaft, während sich am Horizont der Krieg einer Naturgewalt gleich bereits abzeichnet.

„Sie sind kein Ausbilder, sondern ein Aufseher!“, entgegnet „Blacky“ so gewitzt und nonchalant wie ein deutscher Sean Connery einem Vorgesetzten, nicht ahnend oder nicht mehr wissen wollend, daß „Aufseher“ an anderer Stelle tatsächlich bereits zu Werke gingen. Der Erfolg dieser individuell-moralischen Revolte, die sich allein dadurch auszeichnet, nicht haßerfüllt auf „Menschen“, sondern auf „Ziele“ geschossen zu haben, beweist sich letzlich innerhalb des militärischen Systems: durch Beförderung.

Umso erstaunlicher ist es, in diesem Kontext dann auch Joseph Vilsmaiers megalomanische Stalingrad-“Saga“ (1991/92) wiederzusehen und noch einmal festzustellen, wie unter all dem moralischen Schwulst und der „bisher größten Panzerschlacht der deutschen Filmgeschichte“ 40 Jahre später immer noch exakt die selben Strategien der Verleugnung, Rehabilitierung und Selbststilisierung als Opfer zugange sind. Wie sich Vilsmaier mit diesem vor Stars und Effekten überbordenden Machwerk einmal mehr als ausgemachter Ideologe des kleinen Mannes in die Geschichte einschrieb, wird dadurch genauso schmerzlich deutlich wie die Tatsache, daß diese Geschichte längst nicht zuende ist. Selbst wenn diese „kleinen Männer“ langsam aussterben.

Die Reihe startet am Mo, 21. Juni, 17 Uhr mit „Die Mörder sind unter uns“. Weitere Infos unter Tel.: 34 23 53

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