Sticker-Ausstellung in Bremen: Am Tropf der Straße
Mit Künstlern wie Timm Ulrichs oder Klaus Staeck hat der Aufkleber Eingang in die Kunst gefunden. Die Bremer Weserburg widmet dieser Entwicklung eine Ausstellung.
BREMEN taz | Es war eine Aufforderung zum Obstschälen: "Peel slowly and see" konnte man 1967 neben der Banane auf dem Cover des berühmten Debut-Albums der New Yorker Rockband Velvet Underground lesen. Andy Warhol hatte die erste Auflage des von ihm entworfenen Plattencovers mit einem Aufkleber versehen. Man konnte ihn abziehen, darunter kam das Innere der Frucht zum Vorschein. Warhol ist nicht der einzige Künstler, der Aufkleber entworfen oder mit ihnen gearbeitet hat. Diesem Thema widmet sich das Bremer Museum Weserburg in der Ausstellung "Sticker in der Kunst".
Das Studienzentrum der Weserburg hat in seiner Sammlung neben so kurzlebigen Medien wie Briefmarken, Flyern und Plakaten eine ganze Menge Aufkleber aufbewahrt. Die Ausstellung entstand nun in Zusammenarbeit mit den Veranstaltern des Internationalen Sticker Award. Gemeinsam mit deren Material werden in der Ausstellung sowohl kunsthistorische Stücke wie Warhols Abziehbananenschale, als auch neuere Aufkleber als Teil einer aktuellen Jugendkultur präsentiert.
Der Award wird seit 2005 jährlich vergeben, entstanden ist so ein umfangreiches Archiv von Aufklebern im Kontext der Street Art. "Die Community ist extrem vernetzt", schreibt Andreas Ulrich, Award-Initiator und Co-Kurator der Ausstellung. Das Archiv bilde die weltweite Entwicklung dieses Mediums ab und sei online für jeden einsehbar und um die eigenen Bilder erweiterbar. Aktivisten aus der ganzen Welt stellten dort ihre aktuellen Beiträge ein, aus Puerto Rico, Südafrika und Hongkong, sagt Ulrich. Die Sieger des diesjährigen Preises: ausschließlich Deutsche.
Um es vorwegzunehmen: Die Klebezettel aus den Museumsarchiven sind weitaus spannender. Da wären etwa die Sticker des Mail-Künstlers Gugliemo Achille Cavellini: Zu Beginn der 1980er Jahre begann der 1914 geborene Künstler die Feierlichkeiten zu seinem 100. Geburtstag vorzubereiten. Er ließ in den italienischen Nationalfarben kreisförmige Aufkleber drucken, die zu einem zweimonatigen 100-Jahre-Cavellini-Event im Fürstenpalast von Venedig einladen. Später überklebte er seine gesamte Kleidung mit den Stickern, ließ sich so ablichten und die Fotos wiederum auf Aufkleber drucken.
Der Hochschule verwiesen wurde wegen seiner künstlerischen Aufkleber der Konzeptkünstler Timm Ulrichs. 1964 verklebte er rückseitig gummierte Zettel an den Wänden der Technischen Hochschule in Hannover, an der er Architektur studierte. Auf den Zetteln stand: "Zettel ankleben verboten!" Wäre Ulrichs deshalb nicht von der Hochschule geflogen, wären seine Zettel wohl schnell als fader Witz in Vergessenheit geraten.
Schrift spielt insgesamt eine große Rolle innerhalb der Aufkleberkunst. Vordergründig geht es meist um die Übermittlung von Nachrichten, auch wenn diese sich oft als Finte entpuppen. Die Minimalistin Jenny Holzer, die für ihre digitalen Schriftanzeigen bekannt wurde, druckte ihre irritierenden Botschaften in schlichten schwarzen Buchstaben auf weißen Hintergrund: "Abuse of Power Comes as no Surprise".
Der Übergang zur Street Art verläuft innerhalb der Ausstellung, trotz der Gemeinsamkeiten bei der Wahl der Mittel und der Platzierung im öffentlichen Raum, alles andere als glatt. Das liegt gewissermaßen in der Natur der Sache, denn die Weserburg ist schließlich ein Museum und keine Straße. "Street Art ist etwas, das draußen stattfindet", sagt die Kuratorin Bettina Brach.
Trotz aller offensichtlichen Unterschiede werden Aufkleber des Hamburger Street-Art-Collectivs Los Piratoz neben Klaus Staecks Polit-Stickern aus den 1970er Jahren gezeigt. Verwiesen wird dabei auf thematische Überschneidungen: Los Piratoz hatten im Zusammenhang mit der Besetzung des Hamburger Gängeviertels auf den Mangel an bezahlbarem Wohnraum aufmerksam gemacht, Staeck hatte einen Aufkleber entworfen, auf dem stand: "Die Mieten müssen steigen. Wählt christdemokratisch!" Es ist seltsam, wenn Dokumente aus aktuellen politischen Auseinandersetzungen im Museum landen. Indem man sie in den Kunstkontext einreiht, tut man sowohl der Kunst, als auch den Exponaten von der Straße Unrecht.
Die Urheber vieler in der Ausstellung gezeigten Aufkleber sind anonym, die Motive häufig grafischer Art, oft verweisen sie auf Jugendkulturen wie den Hip-Hop. Street Art erfreut sich heute großer Beliebtheit. Ein "übersättigter Kunstmarkt benötigt neue Ideen mit vermeintlich revolutionärem Ansatz", sagt Andreas Ulrichs. Für internationale Konzerne wie Adidas oder Vodafone bietet sie einen "willkommenen Pool frecher, unkonventioneller und vor allem kostengünstiger Ideen und Techniken für den Werbemarkt". Eines der Zauberworte heißt hier "Authentizität".
Und die versucht man auch ins Museum hinüberzuretten, was selbstredend misslingen muss. Wie im Heimatmuseum wurde in den Ausstellungsräumen eine finstere Gasse errichtet, mit aufgemalten Pflastersteinen an der Seite, gesäumt von draußen zusammengesammeltem Laub. Das Herz dieser Kulisse ist ein mit Stickern vollgeklebter Zigarettenautomat. Der wirkt wie ein ausgestopfter Elefant im Naturkundemuseum.
Auch über die Herkunft der bunten Aufkleber kann man etwas erfahren: Teil der Ausstellung ist ein ikeamöbliertes Jugendzimmer, unaufgeräumt, mit einem Tisch in der Mitte, der über und über mit allerlei Stiften und Stickerentwürfen bedeckt ist. Pure Authentizität eben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül