Steve McQueen im Schaulager Basel: Das Leiden anderer zeigen
Die große Retrospektive von Steve McQueen handelt von Einsamkeit, Gewalt, den Schattenseiten unserer Existenz – und dem Sehen, das Muster durchbricht.
BASEL taz | Um es vorwegzunehmen: Die Filme und Videos des britischen Künstlers Steve McQueen sind nichts für zarte Gemüter. Es geht um Einsamkeit, Gewalt, die Schattenseiten unserer Existenz und: um das Sehen.
Das Schaulager in Basel hat dem Turner-Preisträger eine begehbare Filmwelt gebaut, für insgesamt 26 Werke, darunter auch Fotografien und Videoinstallationen. Er selbst sagt in einem online gestellten Interview mit Guardian-Kritiker Adrian Searle, dass dies anderswo nicht möglich gewesen wäre. Scherzhaft fügt er hinzu: „Und jetzt kann ich sterben.“
Das ist der Humor, die schnörkellose Direktheit, mit der dieser Künstler Sympathie weckt. Er spricht von Selbstvertrauen und Zuversicht, wenn er gefragt wird, was die Quelle seines Werks sei. Nie habe er sich mit „career nonsense“ beschäftigt. Es war die Leidenschaft für den Film, die er im Alter von 19 Jahren für sich entdeckte.
Dabei hatte er eigentlich Maler werden wollen und am Chelsea College of Art and Design in London sogar Akt gezeichnet. Seine Ausbildung, auch später am Goldsmith College und an der Tisch School of the Arts in New York, haben ihn sensibilisiert für Material, Kontraste, Perspektive und Raum.
Schule des Neues Sehens
Es lohnt sich, die Frühwerke vom Ende der 1990er Jahre des Briten genau anzuschauen. Extreme Auf- und Untersichten, Nahaufnahme und Totale im Wechsel.
Da ist jemand in die Schule des Neuen Sehens der 1920er Jahre gegangen und hat sich die Wirkung der Perspektive verschiedener Standorte angeeignet, die den neutralen Blick aus Kopf- oder Bauchhöhe außer Kraft setzt: Er filmt die Fußsohle einer Seiltänzerin in Nahaufnahme von unten oder aber eine Totale auf Männer mit Hula-Hoop-Reifen von oben, das Ganze in Schwarz-Weiß, versteht sich.
Wer diese radikalen Blickführungen gesehen hat, empfindet die Diaprojektion „7th Nov.“ aus dem Jahre 2001 als schlüssig. Wir sehen nicht viel mehr als die von einer Narbe durchzogene Kopfhaut eines liegenden, dunkelhäutigen Mannes.
Wir hören seine Stimme und haben den Eindruck seinen Gedanken zu lauschen, die um ein unwiderrufliches Geschehen umkreisen, den durch seine Unachtsamkeit verursachten Tod des Bruders. Steve McQueen ist mit seiner Kunst angekommen in der realen Welt.
Und dort bleibt er, oder besser gesagt, dort fräst er sich hinein, in die Grundsubstanz des Realen, und nähert sich mit zumeist statischer Kamera der Dokumentation. Das können poetische Bilder sein, wie die im Winter verlassenen Giardini der Biennale von Venedig, wo er streunende Hunde, Regentropfen auf Kies oder das scherenschnittartige Muster der Bäume aufnimmt.
In „Gravesend“ stellt er Bilder vom altertümlichen Abbau des Rohstoffs Coltan in Afrika neben Aufnahmen von der hochtechnisierten Weiterverarbeitung zu Tantal, einem wichtigen Material der Mikroelektronik.
Und in „Western Deep“ konfrontiert der Künstler den Betrachter bis an die Schmerzgrenze mit den brutalen Trainingsmethoden, denen sich Bergarbeiter unterwerfen müssen, wenn sie in der drei Kilometer tiefen südafrikanischen Mine arbeiten wollen.
Machtlosigkeit der Kunst
Diese Arbeit habe ihm gezeigt, wie machtlos die Bildende Kunst sei, konstatiert McQueen in dem Gespräch mit Searle. Er habe „Western Deep“ 2002 auf der Documenta in Kassel gezeigt und einen Aufschrei der Empörung erwartet. Doch sei nichts passiert, absolut nichts.
Vielleicht nahm der Künstler deshalb 2008 die Möglichkeit war, einen Kinofilm zu drehen, und damit ein größeres Publikum zu erreichen. Sein mehrfach preisgekrönter Film „Hunger“ greift ein Trauma seiner Jugend auf, den Hungerstreik von IRA-Kämpfern für ihre Anerkennung als politische Gefangene.
Die Art, wie er auf der Leinwand Räume schafft, mit Beobachtungen am Rande der Szene die Wahrnehmung schärft oder den Ton einsetzt, hat dem Künstler große Anerkennung bei der Filmkritik eingebracht.
Auf die Frage, ob er sich jetzt nur noch mit abendfüllenden Filmen beschäftigen will, schüttelt McQueen den Kopf. Nein, er würde beides parallel machen. Das Leuchtkastenfoto „Lynching Tree“ etwa sei ein Produkt seiner Recherchen für seinen nächsten Film „Twelve Years a Slave“, der im Herbst in die Kinos kommt.
Offizieller Kriegskünstler
McQueen hat dem Film neue Impulse gegeben, aber auch jener Sparte der zeitgenössischen bildenden Kunst, die sich politisch gibt. So wurde er 2003 vom britischen Imperial War Museum zum offiziellen Kriegskünstler ernannt und als solcher in den Irak entsandt. Dort konnte er nur wenig filmen. Als guter Künstler sollte man mit dem, was man gerade vorfindet, ein Kunstwerk machen können, lautet seine Devise.
Im einzigen erleuchteten Raum der Ausstellung steht in der Mitte ein Eichenholzkubus auf schmalen Metallfüßen. Wer herantritt, kann einzelne Schuber aufziehen und die Faksimiles einer Briefmarkenedition mit den Porträts von 160 Gefallenen betrachten.
„Queen and Country“ ist jedoch erst dann vollendet, wenn die Bögen gedruckt werden und als Briefmarken offiziell in Umlauf kommen. Doch hat die Royal Mail dies bislang abgelehnt.
Auch in diesem als Denkmal für die gefallenen Soldaten gemeinten Werk zielt der Künstler auf die Teilnahme des Publikums. „Es ist keine Dokumentation, es nutzt und missbraucht das Dokumentarische“, wird McQueen im Begleitheft zitiert.
Dokumentarfilme würden vorgeben, ein umfassendes Bild von einer Sache zu liefern. In seinen Videoarbeiten blieben Lücken, damit sie mit den Gedanken und Gefühlen der Betrachter gefüllt würden. Nur so könne man begreifen, worum es überhaupt geht.
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