Steuerskandal in Freiburg: Anwälte rebellieren gegen Deal mit Arzt
Baden-Württembergs Wissenschaftsminister Peter Frankenberg (CDU) wollte die Affäre um einen pfuschenden Chefarzt beenden. Jetzt haben ihn 160 Anwälte angezeigt.
FREIBURG taz So etwas hat es wohl noch nie gegeben. In Freiburg haben gestern mehr als 160 Rechtsanwälte eine Strafanzeige gegen das Land Baden-Württemberg und die Universitätsklinik Freiburg eingereicht. Beide hätten aus ihrer Sicht "Geld zum Fenster hinausgeworfen". Knapp 2 Millionen Euro bekommt ein ehemaliger Chefarzt der Uniklinik dafür, dass er nach zahlreichen Kunstfehlern freiwillig aus dem Beamtenverhältnis ausscheidet. Die Anwälte sehen in diesem Deal eine "Untreue" zulasten des Landeshaushalts. Sie verstehen nicht, warum der Arzt nicht per Disziplinarverfahren aus dem Beamtenverhältnis entlassen wurde - ohne Abfindung.
Hans Peter Friedl war 37, als er 1997 die Leitung der Unfallchirurgie an der Freiburger Uniklinik übernahm. Ein ehrgeiziger Mediziner mit einer bis dahin glänzenden Karriere. Doch bald häuften sich die Behandlungsfehler. So verlor etwa ein Rumäne fast sein Bein, weil Friedl beim Anschrauben einer Metallplatte Blutgefäße abquetschte. Außerdem wurde ihm die gezielte Täuschung von Patienten vorgeworfen. So musste ein junger Mann nach einer Schulteroperation erneut unters Messer, weil Friedl eine abgebrochene Bohrerspitze entfernen wollte. Dem Patienten erzählte er nichts von dem Missgeschick, sondern gab einen anderen Grund für die Nachoperation an. Die Folge: Friedl wurde ab 2000 vom Dienst suspendiert und die Staatsanwaltschaft erhob Anklage. In einem aufsehenerregenden Prozess verurteilte das Landgericht Freiburg 2003 den Mediziner wegen drei Fällen fahrlässiger und einer vorsätzlichen Körperverletzung zu 24.300 Euro Geldstrafe.
Das relativ milde Urteil führte dazu, dass Friedl nicht sofort aus dem Amt scheiden musste. Denn automatisch geht der Beamtenstatus nur bei einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verloren. Bei geringeren Strafen muss ein Disziplinarverfahren durchgeführt werden. Dort wird geprüft, ob das Dienstvergehen so schwer wiegt, dass der Staat kein Vertrauen mehr in seinen Beamten haben kann.
Eigentlich schien das bei Friedl reine Formsache zu sein. Schließlich hatte er nicht nur Kunstfehler begangen, was jedem Arzt passieren kann, sondern diese auch noch mehrfach vertuscht. Außerdem hat Friedl sogar Mitarbeiter in seine Machenschaften einbezogen, indem er sie Operationsberichte falsch ausfüllen ließ. Auch das Landgericht ging davon aus, "dass der Verlust der Stelle an der Universitätsklinik Freiburg endgültig sein wird". Die Uniklinik tat auch alles, dass Friedl nicht auf seine Stelle zurückkehren kann. Das Vertrauen war offensichtlich unwiederbringlich verloren.
Und dennoch soll Friedl jetzt im Rahmen eines Vergleichs 1,98 Millionen Euro Abfindung erhalten, weil die Universitätsklinik und das Land Baden-Württemberg glauben, dass sie Friedl nicht anders loswerden können. Freilich haben sie es gar nicht erst versucht. Eine Disziplinarklage beim zuständigen Verwaltungsgericht wurde nicht eingereicht.
Die Freiburger Anwälte halten das nicht nur für skandalös, sondern auch für strafbar. Sie haben gegen die "Verantwortlichen" Strafanzeige erstattet. Gemeint ist damit nicht zuletzt Wissenschafts- und Forschungsminister Peter Frankenberg (CDU). Die couragierten Anwälte wissen allerdings auch nicht so recht, warum das Land dem Chirurgen Geld hinterherwirft. "Vielleicht hat Friedl etwas gegen die Uniklinik in der Hand", spekuliert Helmut Graff, einer der Initiatoren.
Das Land beruft sich dagegen auf den Untersuchungsbericht des Richters, der das Disziplinarverfahren führte. Dort soll angeblich stehen, dass die Vorwürfe gegen Friedl "aller Voraussicht nach nicht zu einer Entfernung aus dem Amt führen werden". Wie der Richter zu diesem rätselhaften Schluss kommt, ist unklar, sein Bericht ist geheim. Immerhin kann ihn jetzt die Freiburger Staatsanwaltschaft prüfen.
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