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Steuergeld für die Mafia

Im Auftrag der Landesregierung führt die Fluggesellschaft Bulgaria Air Sammelabschiebungen in Länder des Westbalkans durch. Größter Profiteur ist ein Unternehmen, das mit Prostitution, Glücksspiel, Drogen und Menschenhandel groß wurde.

Flüge für Abschiebungen – bei diesem Geschäftszweig erfüllt sich das Werbeversprechen von Bulgaria Air sicher nicht. Screenshot: www.air.bg

Von Minh Schredle↓

Am 20. Februar 2013 übergoss sich der Fotograf Plamen Goranow mit Benzin und setzte sich vor dem Rathaus der bulgarischen Hafenstadt Warna in Brand. Die Aktion mit tödlichem Ausgang war ein Zeichen des Protests gegen „eine verrottete politische Klasse“, wie der „Spiegel“ schrieb. Und konkret richtete sie sich gegen den damaligen Bürgermeister Kiril Yordanov, dem Kontakte zum organisierten Verbrechen nachgesagt werden, und den größten Arbeitgeber in der Region: die TIM-Gruppe. Groß geworden als Sicherheitsfirma in den 1990er Jahren, hat sich das Geschäftsfeld beträchtlich erweitert: Heute gehören auch der Betrieb von sechs Fernsehsendern sowie der größten Zeitung in ­Warna dazu, neben zahlreichen Restaurants, ­Kinos und Bingo-Hallen. Außerdem hält die TIM-Gruppe 68 Prozent der Chimimport-Aktien, einer Holdinggesellschaft, deren Beteiligungen vom Immobilienmarkt bis zum Flugverkehr reichen.

Doch damit nicht genug. „TIM ist in ein breites Spektrum krimineller Aktivitäten involviert“, inklusive Prostitution, Glücksspiel, Drogenhandel und Diebstahl. So steht es, datiert auf den 7. Juli 2005, in einem vertraulichen Bericht von US-Botschafter James Pardew, der auf der Enthüllungsplattform WikiLeaks veröffentlicht wurde. Bei den TIM-Gründern, deren Privatvermögen das Magazin „Forbes“ auf 2,4 Milliarden Euro schätzt, handle es sich laut dem Bericht um ehemalige Elitesoldaten, die nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus von alten Seilschaften profitierten, bis ihr Unternehmen zur „neuen Führungsmacht in der organisierten Kriminalität Bulgariens“ aufgestiegen sei. Dass viele Gruppen der organisierten Kriminalität keine Strafverfolgung zu befürchten hätten, bezeichnet Botschafter Pardew als „das womöglich ernsteste Problem der Republik“.

„Warna ist ein Abbild ganz Bulga­riens“, sagt der Investigativjournalist Spas Spasow gegenüber dem „Spiegel“. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion seien „anders als in Polen oder der DDR die alten Eliten an der Macht“ geblieben: „Sie legten sich neue Namen zu und rissen die lukrativsten Staatsbetriebe an sich.“ Als einen „idealtypischen Fall der Korruption“ beschreibt Spasow, wie die Stadtverwaltung von Warna an die TIM-Gruppe ein Areal zu einem Schleuderpreis verschachert hat, das eigentlich nicht hätte verkauft werden dürfen. Wo einmal ein Park war, der sich an der Küste entlangzog, wünschte sich das organisierte Verbrechen Luxuswohnungen, Hotels und einen Yachthafen.

Innenminister Strobl hält das Modell für vorbildlich

Im September 2020 meldete „BIRD“, das bulgarische „Büro für Investigative Berichterstattung“, dass die Küsten­region um Warna auch bei russischen Eliten hoch im Kurs steht: Acht Kilometer entfernt von der Hafenstadt ziehen heute Heilquellen, die schon bei oströmischen Aristokraten beliebt waren, die Familien der Manager von russischen Staatskonzernen wie Gazprom, Rosneft oder VTB Bank an, darunter enge Vertraute von Wladimir Putin. Vermittelt über alte KGB-Kontakte besitzen sie mehrere dutzend Luxusapartments im Ferienort Sweti Konstantin, über den „BIRD“ schreibt: „Fast alles, was hier passiert, steht unter Kontrolle der größten kriminellen Vereinigung: TIM.“

Doch der Kundenkreis reicht noch weiter. So wird TIM, über kleinere Umwege, auch von der baden-württembergischen Landesregierung finanziert. Seit 2009 über­nimmt die Fluggesellschaft ­Bulgaria Air Sammelabschiebungen aus dem deutschen Südwesten in Länder des Westbalkans. Insgesamt sind davon mindestens 8.000 Menschen betroffen, darunter Schick­sale wie das von Sali Krasniqi: Der Herzkranke wurde nach 29 Jahren in der Bundesrepublik in den Kosovo abgeschoben und starb dort wenige Monate später infolge einer mangelhaften medizinischen Versorgung.

Nachdem der ehemalige Staatskonzern Bulgaria Air privatisiert wurde, befindet er sich aktuell im Eigentum der Chim­import Holdinggesellschaft, deren größter Anteilseigner mit gut zwei Dritteln der Aktien wiederum die TIM-Gruppe ist.

Der Abschiebe-Deal wurde 2009 noch unter Schwarz-Gelb eingefädelt: unter Ministerpräsident Günther Oettinger und Innenminister Heribert Rech (beide CDU). Doch auch der amtierende Innenminister Thomas Strobl (CDU) hat lobende Worte für den Geschäftspartner übrig: „Was Rückführungen in den Westbalkan angeht, haben wir in Baden-Württemberg mit diesem Modell gute Erfahrungen gemacht“, sagte der stellvertretende Minister­präsident im November 2018 über ein Konzept, das er seinen Kol­le­g:in­nen zur Nachahmung empfiehlt: Für eine höhere „Schlagzahl“ bei den Abschiebungen nach Gambia „wollen wir uns in Baden-Württemberg auf dem freien Markt nach geeigneten Fluglinien umschauen, die neben dem Flugzeug und der Crew auch die Sicherheitsbegleitung stellen können“. So müssen weniger Bundes­poli­zis­t:in­nen eingesetzt werden und bei der Bulgaria Air ist die Praxis mit den privaten Sicher­heits­mit­arbei­te­r:in­nen schon lange gang und gäbe.

Das Innenministerium schweigt

Über die Höhe der Zuwendungen des Landes an Bulgaria Air will das Innenministerium auf Anfrage der Redaktion lieber nichts verraten. Ebenso bleibt unbeantwortet, ob dort die Vorwürfe gegen die TIM-Gruppe bekannt waren und ob das Ministerium überprüfen möchte, weiterhin Aufträge aus öffentlicher Hand zu erteilen. Dass es sich bei der Dienstleistung um ein durchaus lukratives Geschäft handeln könnte, geht allerdings aus Antworten auf parlamentarische Anfragen hervor. Demnach hat sich Baden-Württemberg die 3.018 Abschiebungen im Jahr 2018 knapp 4,5 Millionen Euro kosten lassen, wobei kein Land häufiger angesteuert wurde als der Kosovo.

Besonders profitabel dürfte die Flugbegleitung durch Sicher­heits­mit­arbei­te­r:in­nen sein, zumindest für Abschiebungen nach Gambia liegen Zahlen vor, die die grobe Größenodnung verdeutlichen: „Für einen Linienflug ohne Arzt und ohne Sicher­heits­beglei­tung betragen die Kosten pro Person durchschnittlich 3.181 Euro. Mit Arzt fallen im Schnitt 3.916 Euro an. Sofern eine Sicherheitsbegleitung durch Personenbegleiter-Luft der Bundespolizei erforderlich ist, betragen die Kosten im Durchschnitt bei einem Linienflug 20.413 Euro.“

Seán McGinley, der Vorsitzende des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg, nennt gegenüber Kontext die Zusammenarbeit „moralisch vollkommen verwerflich“ und fordert, sie unverzüglich zu beenden. Vergangene Woche hatte der Flüchtlingsrat per Pressemitteilung darauf hingewiesen, wie ein „zwielichtiges Syndikat namens TIM“ an den Abschiebungen verdient, was ursprünglich von Akti­vis­t:in­nen der „No Border Assembly“ aufgedeckt wurde. Bislang blieb die Resonanz aus Politik und Medien allerdings arg überschaubar.

McGinley betont, dass Staatsbehörden auch gegenüber Geflüchteten eine Pflicht zur Wahrung von Gesetzen und Menschenrechten hätten. „In Baden-Württemberg gibt es hier allerdings regelmäßig Abstriche“, lautet sein Vorwurf. Erst in der Vorwoche hatte der Flüchtlingsrat auf zwei Fälle hingewiesen, bei denen die Polizei Betroffene für eine Abschiebung festnehmen wollte, obwohl entsprechende Gerichtsbeschlüsse vorliegen, diese Abschiebungen auszusetzen. Laut McGinley betreibe Innenminister Strobl, insbesondere was Abschiebungen in Länder des Westbalkans angeht, eine Symbolpolitik auf dem Rücken der Hilfesuchenden. „Dabei kommt es dann darauf an, hohe Zahlen vorlegen zu können. Die meisten Menschen, die inzwischen auf den Balkan abgeschoben werden, leben aber schon sehr lange, teils schon mehrere Jahrzehnte in Deutschland, und manchmal werden sie sogar in Länder abgeschoben, die es noch gar nicht gab, als sie geflohen sind.“

Der harte Umgang des konservativ geführten Innenministeriums sorgt immer mal wieder für Zähneknirschen beim größeren Koalitionspartner. Bislang waren die Grünen bereit, beim Umgang mit Geflüchteten viele Kröten zu schlucken, um den Frieden der Regierungsparteien zu wahren. Ob die Enthüllungen über Bulgaria Air und die TIM-Gruppe daran etwas ändern werden?

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