Steuer gegen Spekulation: Der Pater treibt die Kanzlerin
Vor einem halben Jahr forderte der Jesuit Jörg Alt eine Transaktions-Steuer. Dem zunehmenden Druck versucht die Kanzlerin mit einem halbherzigen Kabinettsbeschluss zu entgehen.
BERLIN taz | Dass er etwas tun müsste, sagt Jörg Alt, das habe er in Belize begriffen. Mit einer Jugendgruppe war der Jesuitenpater in dem mittelamerikanischen Land an der Grenze zu Mexiko, als es auf einmal keine Lebensmittel mehr zu kaufen gab. Es war die Zeit der hohen Lebensmittelpreise vor dem Ausbruch der Wirtschaftskrise.
Auf den Märkten wurde nicht mehr nur in Öl oder Gold investiert, auch mit profanen Grundnahrungsmitteln wie Weizen ließen sich große Gewinne machen. Die Menschen in Belize konnten sich die Preise nicht mehr leisten. Alt fand, dass er dagegen etwas tun müsse.
Petition trotz Schwarz-Gelb
Vor einem halben Jahr reichte er eine Petition beim Deutschen Bundestag ein. Die Idee war ein bisschen verrückt, fanden selbst die Aktivisten von Attac. Jahrelang hatten sie für Spekulationssteuern gekämpft. Erst wollten sie eine Abgabe auf den Umtausch von Währungen, dann auf alle Transaktionen der Finanzmärkte. Immer waren sie von der Politik ausgelacht worden.
Ausgerechnet jetzt sollte das anders sein, kurz nach dem Amtsantritt einer Regierung von Union und FDP? Ganz allein wollte Alt binnen dreier Wochen jene 50.000 Unterschriften sammeln, die nötig sind, damit sich der Petitionsausschuss mit dem Anliegen befassen muss? "Manchmal mache ich Sachen nur aus dem Bauch heraus", sagt er. Die Petition eines Jesuitenpaters aber könnten auch Union und FDP nicht leicht umgehen.
Am Montag steht der 48-jährige Jesuitenpater auf der Fraktionsebene des Deutschen Bundestags. Graues Hemd, schwarze Jeans, rötliches Haar, Sommersprossen. Er fällt auf zwischen all den Abgeordneten in Sakko und Krawatte, die hinter ihm in den Sitzungssaal huschen. Er steht jetzt im Mittelpunkt. Fernsehteams streiten um die Minuten, die Alt noch bleiben bis zu seinem Auftritt vor dem Finanzausschuss.
Es sind die Tage, in denen der Bundestag den Euro retten will und Angela Merkel ihre Regierung. Ob beides gelingt, hängt auch an Alt und seiner Steuer.
Am Dienstag beugt sich das Kabinett dem Druck – oder doch nicht?
Und dann am Dienstagvormittag die Kabinettssitzung in Berlin. Ist das der Durchbruch? Die Koalition habe sich darauf geeinigt, eine Finanzmarktsteuer auf europäischer Ebene zu fordern, teilen die Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder (CDU) und Birgit Homburger (FDP) mit. Allerdings täuscht die Formulierung, denn die Regierungsfraktionen meinen mit der Bezeichnung Finanzmarktsteuer eine "Finanztransaktionssteuer oder Finanzaktivitätssteuer".
Doch das ist ein großer Unterschied: Während die von Pater Arlt und der Opposition geforderte Finanztransaktionssteuer jeden Handel mit Finanzprodukten mit einer kleinen Steuer von 0,01 bis 0,05 Prozent belegen würde, geht es bei der von der Regierung ins Spiel gebrachten Finanzaktivitätssteuer um eine Abgabe auf Gewinne, Boni und Gehälter. Die Einnahmen wären viel geringer – und vor allem eine Lenkungswirkung gegen Spekulation kann diese Steuer nicht entfalten. Offenbar setzt die Regierung darauf, dass dieser wesentliche Unterschied in der öffentlichen Debatte untergeht.
Angeblich lässt sich das international nicht durchsetzen
Erst am Sonntag hatte Merkel vor den Gewerkschaftern des DGB gesagt, eine Finanztransaktionssteuer könne sie international sowieso nicht durchsetzen. Inzwischen ist das nicht mehr ganz so sicher. Die EU erwägt einen Alleingang notfalls auch ohne Großbritannien. Der österreichische Finanzminister, zugleich Chef der konservativen Volkspartei, machte am Montag noch mal Druck auf seine deutsche Parteifreundin, ihren Widerstand endlich aufzugeben.
Am Ende wird sich Merkel wieder mal entscheiden müssen, wie viel sie sich vom Koalitionspartner diktieren lässt. Eine "Scheinlösung" nannte Wirtschaftsminister Rainer Brüderle die Steuer. Von einer "Blendgranate" sprach Generalsekretär Christian Lindner. Die zuletzt so schweigsame Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger warnte sogar vor einem "Flächenbrand". Sie sind aufgescheucht durch das Vorpreschen der CSU, das ihnen ein Einlenken nicht erleichtert.
Alarmstimmung bei den Banken
Alarmiert ist auch der Bankenverband, der inzwischen ernsthaft fürchtet, Alts Steuer könnte wirklich kommen. "Nichts wäre schlimmer", droht der Verbandspräsident, "als die bislang mit hohem Aufwand verhinderte Kreditklemme nun quasi durch die Hintertür herbeizuregulieren." Soll heißen: Beschließt ihr die Steuer, dann drehen wir dem Mittelstand den Geldhahn zu.
Wegen der Idee, die einst eine Flause des Jesuitenpaters war, hat Merkel jetzt für Dienstag ihre Teilnahme am Gipfeltreffen von Europäern und Lateinamerikanern abgesagt. Dass sie deshalb ausgerechnet eine Tagung absagt, auf der sich die EU auch mit Belize trifft, ist nicht so sehr nach Alts Geschmack. Er will die Steuer, damit sie in Entwicklungshilfe fließt und die Armen irgendwann genug zu essen haben. Die Politiker wollen den Staatshaushalt sanieren. Auch deshalb wuchs die Zustimmung so rasch.
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