"Stern"-Chefredakteure über "Buntegate": "Ein Outsourcen von Drecksarbeit"

Die beiden "Stern"-Chefredakteure Petzold und Osterkorn sprechen darüber, warum Medien Detektive auf Politiker ansetzen und was dies für den Zustand des Journalismus bedeutet.

Opfer der Überwachung: das Ehepaar Wulff. Bild: dpa

taz: Herr Osterkorn, Herr Petzold, nach Ihrer Enthüllung, dass die Bunte das Privatleben von Spitzenpolitikern durch die zweifelhafte Bildagentur CMK systematisch ausspähen ließ, hat Burda rechtliche Schritte gegen den Stern angekündigt. Wie ist der Stand Ihrer juristischen Auseinandersetzung?

Andreas Petzold: Es gibt keine juristische Auseinandersetzung. Uns ist eine Verleumdungsklage und eine Unterlassungsklage angedroht worden: Weder das eine noch das andere ist - Stand heute - hier eingetroffen. Was auch immer da noch kommen mag: Wir sehen dem sehr gelassen entgegen.

Thomas Osterkorn: Weil es um einen Wettbewerber geht ...

Petzold: ... Was heißt hier Wettbewerber?

Osterkorn: Als Verlag ist Burda sicherlich ein Wettbewerber. Deswegen haben wir die Recherche in diesem Fall besonders ernst genommen, uns nicht auf die Aussagen der Informanten verlassen, sondern alle Informationen vier- oder fünffach gecheckt und dann natürlich sowohl den CMK-Chef Stefan Kießling als auch die Bunte-Chefredakteurin Patricia Riekel mit unseren Rechercheergebnissen konfrontiert.

Die spricht in einer Erklärung trotzdem von einer "höchst fragwürdigen Veröffentlichung" und Burda-Verlagsvorstand Philipp Welte gar vom "dümmlichen Versuch, durch lautes Blöken vom journalistischen Niedergang des Stern abzulenken".

Petzold: Immer wieder versucht der Burda-Verlag, die Bunte als Wettbewerber vom Stern zu positionieren, nur weil beide am Donnerstag erscheinen. Die Bunte konkurriert mit People-Magazinen wie Gala oder InTouch, aber nicht mit dem Stern. Das hätte der Burda-Verlag gerne und deswegen treibt er die Diskussion in diese Richtung. Ein durchsichtiger Versuch…

Können Sie nochmal klar sagen, was sie unterscheidet?

Petzold: Ja, der Stern ist ein wöchentlich erscheinendes, aktuelles Magazin, das relevante Themen aufgreift. Man kann auch gern sagen: Illustrierte - ich hab überhaupt nichts gegen dieses Wort. Aber die Inhalte von Stern und Bunte sind grundverschieden. Wir konkurrieren mit Focus und Spiegel - auch mit solchen Enthüllungsgeschichten.

Gut, dass Sie selbst auf die aktuelle Ausgabe zu sprechen kommen: Wie passt das Bild einer nackten Frau bei der Selbstbefriedigung, der ein Stethoskop über die Brüste baumelt, zu dem eben formulierten Anspruch?

Petzold: Henri Nannen hat immer gesagt: "Man muss die Kirche erst voll machen und dann predigen." Und genau das machen wir. Wenn Sie sich die Inhalte der aktuellen Ausgabe anschauen, ist dem nichts hinzuzufügen. Die fängt an mit einer aktuellen Reportage aus Griechenland, die das bekannte Problem mit einer guten Recherche, einer exzellent geschriebenen Geschichte aufgreift...

... die sich aber nur mit einem kleinen Textankündiger auf dem Titel wiederfindet.

Petzold: Wo ist das Problem? Es geht doch um die Inhalte im Heft.

Aber es muss doch wohl die Frage erlaubt sein, wie Sie diese vorne präsentieren.

Osterkorn: Wir versuchen mit einem durchaus erotischen Bild, das wollen wir gar nicht in Abrede stellen, Interesse zu wecken für ein schwieriges Thema: Vorsorgeuntersuchungen und Früherkennungsdiagnostik. Was bitte will man da sonst zeigen? Eine Darmspiegelung? Ein Titelbild ist ja immer auch ein Werbeplakat für uns.

Und deswegen zeigen Sie so häufig Nackte?

Petzold: Im ganzen Jahr 2009 finden Sie bei 53 Ausgaben nur eine einzige Barbusige auf dem Titel.

Osterkorn: Da sind Sie Opfer Ihres Vorurteils, aber das kennen wir schon. Ich räume ein: In den 80ern war jeder zweite Titel so freizügig. Heute machen wir das höchstens zweimal im Jahr, und es bleibt trotzdem in den Köpfen hängen.

Auch der Stern hat, wie Sie zugegeben haben, "ein paar hundert Euro" für Fotos von CMK ausgegeben. Wirklich nur ein paar hundert?

Petzold: Ja, mal waren es 35 Euro für ein Bild, mal 235 Euro. Wir haben das alles genau nachgeprüft.

In wie vielen Fällen haben Sie mit CMK zusammengearbeitet?

Osterkorn: Das ist für uns keine Zusammenarbeit. Wir haben Fotos aus deren Bilddatenbank gekauft und dafür den Standardsatz gezahlt, aber CMK nie mit Recherchen beauftragt. Das hat Herr Kießling übrigens auch nie behauptet. Wir haben Bilder, die im Internet zu bestellen waren, gedruckt - nicht wissend, was das für eine komische Agentur ist. Wie viele andere Medien in Deutschland auch.

Wie viele Fotos haben Sie gedruckt?

Petzold: Einige Dutzend in den letzten sechs, sieben Jahren.

Also sprechen wir eher von ein paar tausend Euro.

Osterkorn: Insgesamt vielleicht, aber nicht pro Foto. Und schon gar nicht haben wir an die CMK einen Tagessatz von 1.000 Euro bezahlt oder 240.000 Euro insgesamt im Jahr 2008 wie die Bunte laut uns vorliegenden Unterlagen.

Eine weitere finanzielle Frage ist die, ob der Stern Informanten aus dem CMK-Umfeld bezahlt hat.

Osterkorn: Dazu sagen wir grundsätzlich nichts.

Warum nicht?

Petzold: Grundsätzlich nicht. Das gehört für uns zum Informantenschutz. Wichtig ist doch, ob das, was ein Informant erzählt, stimmt oder nicht. Die beiden Informanten des Stern sind auch nicht rumgelaufen und haben versucht, ihre Informationen zu verkaufen, sondern wir sind bei unseren Recherchen auf sie gestoßen.

Osterkorn: Losgelöst von Ihrer Frage halte ich eine Aufwandsentschädigung prinzipiell für legitim. Wenn Sie vor Gericht aussagen müssen, kriegen Sie auch Zeugengeld. Disqualifiziert Sie das etwa? Ohne das zu bestätigen oder zu dementieren, wehre ich mich gegen die Unterstellung, dass, wer für seinen Aufwand Geld bekommt, nicht die Wahrheit sagt.

Aber Sie versilbern doch, sofern Honorare geflossen sind, damit das frühere Fehlverhalten der Informanten.

Petzold: Kann ich Ihnen nicht bestätigen.

Gut, aber können Sie mir sagen, warum Sie das CMK-Bild von Seehofers unehelicher Tochter und deren Mutter gedruckt haben?

Osterkorn: Nachdem Seehofers damalige Geliebte Anette Fröhlich in einem Interview mit der Bunten von sich aus ...

Petzold: ... „von sich aus“, das lassen wir mal dahingestellt.. ...

Osterkorn: ... Auf jeden Fall hat sie ihre Privatheit in diesem Interview selbst öffentlich gemacht, und dann hat der Stern, wie viele andere, eine Geschichte darüber geschrieben und dazu dieses Foto gedruckt. Wir haben sie nicht verfolgt, nicht beschattet - das ist ein großer Unterschied.

Können Sie mit Patricia Riekels Unterscheidung zwischen berichterstattungsrelevanter Privat- und zu schützender Intimsphäre etwas anfangen?

Petzold: Nein. Privat- und Intimsphäre zu unterscheiden, ist ein Hilfsargument. Frau Riekel hat ja in ihrer Reaktion auf die Künast-Anfrage auch gesagt: Man muss darüber berichten, wenn das öffentlichen Diskussionsstoff liefert. Aber wer liefert denn den öffentlichen Diskussionsstoff? Das sind die Medien. Und die liefern ihn nur dann, wenn sie das vorher recherchiert haben.

Osterkorn: Aber zum Thema Abwägung zwischen Privatheit und öffentlichem Interesse fehlt im Pressekodex eine Präzisierung. Das wäre in der Tat eine Überlegung wert. Bislang musste sich die Präzisierung aus der Spruchpraxis des Beschwerdeausschusses des Presserats ergeben und aus diversen Urteilen. Das stellt übrigens auch der Medienrechtler Christian Schertz fest. Können Sie überall nachlesen.

Aber es gelingt Frau Riekel doch, den Pressekodex völlig anders auszulegen als Sie.

Petzold: Nur weil Frau Riekel die Pressefreiheit falsch versteht, müssen die Regeln doch nicht gleich neu geschrieben werden. Die sind eindeutig.

Wo zieht der Stern die Grenze zwischen Privatheit und öffentlichem Interesse?

Petzold: Für uns gilt generell das, was Renate Künast in ihrem Brief an Hubert Burda treffend formuliert: "Privat ist, was beruflich keine Relevanz besitzt." Es muss ein besonderes öffentliches Interesse an bestimmten Vorgängen geben, sonst sind verdeckte Ermittlungen laut Ziffer 4 des Pressekodex nicht erlaubt. Und ich frage mich, ob es von öffentlichem Interesse ist, wenn Franz Müntefering eine Freundin hat, die er später heiratet, nur weil sie 40 Jahre jünger ist als er.

Osterkorn: Mir müsste auch noch mal jemand erklären, ab welchem Altersunterschied das angeblich relevant wird: ab 35 Jahre jünger? Oder schon ab 12?

Der bereits erwähnte Medienrechtler Christian Schertz sieht in der Bunte-Affäre eine "neue Qualität von Verrohung" im People-Journalismus. Und Sie?

Osterkorn: Ja, das Gefühl haben wir schon. Allmählich reißen auch hier in Deutschland englische Sitten ein. Problematisch ist vor allem das Outsourcen von Drecksarbeit. Damit ist die Bunte nicht allein, dafür hat diese Methode viel zu viele Vorteile. So kann ich den Prominenten der Bespitzelung nämlich anrufen und sagen: Uns sind da Bilder angeboten worden. Natürlich drucken wir diesen Schweinkram nicht - aber könnten wir vielleicht mal ein Interview mit Ihnen haben?

Outsourcing wird im Journalismus immer üblicher, weil freie Mitarbeiter billiger sind als Festangestellte.

Osterkorn: Es gibt hervorragende freie Journalisten, derer sich alle Blätter bedienen, auch der Stern, wenn auch in sehr geringem Maße...

Petzold: ... aber der Presseausweis eines freien Mitarbeiters ist noch kein Qualitätsausweis. Und das Kostenargument kann doch solche Methoden, ob angedacht oder durchgeführt, nicht rechtfertigen. Der Maßstab muss sein, dass ich als Redaktion über jeden Schritt eines Rechercheurs informiert bin und genau weiß: Was wird da wie recherchiert? Und das kann ich eben nur gewährleisten, wenn ich besonders vertrauenswürdige Mitarbeiter mit der Aufgabe betraue. Und die sollten schon Mitglied der Redaktion sein, denn sonst kann ich das nicht steuern und führen.

Osterkorn: Der Artikel 5 des Grundgesetzes bedeutet auch, dass der Staat den Zugang zum Journalismus nicht reglementieren darf, was ja auch völlig in Ordnung ist. Die Kehrseite davon ist allerdings, dass jeder, also auch ein Detektiv oder ehemaliger Stasispitzel, beschließen kann: Ich bin jetzt Journalist. Und dann ist er es auch. Nun könnten natürlich die Journalistenverbände etwas sorgfältiger damit umgehen, wem man einen Ausweis gibt und wem nicht. Da aber die Verbände möglichst viele Mitglieder haben wollen, um möglichst mächtig zu sein, haben sie daran kein großes Interesse. Wir Journalisten sollten mal drüber nachdenken, ob es nicht ein Akt der Selbstreinigung wäre, wenn wir die Kriterien, wer eigentlich Journalist ist, ein bisschen enger definieren würden.

Was müsste für Sie erfüllt sein, damit jemand einen Presseausweis verdient hat?

Petzold: Der müsste erstmal eine solide journalistische Ausbildung nachweisen, die zumindest gewährleistet, dass er sein Handwerk beherrscht. Ganz einfach. Denn sonst wird jeder, der behauptet, ich kann schreiben und ich greife zum Äußersten, nämlich zum Telefonhörer, damit schon zum Journalisten.

Osterkorn: Das sehe ich ein bisschen anders. Journalismus ist auch ein Begabungsberuf. Was man allerdings von Leuten verlangen kann, die sich als Journalisten bezeichnen, ist, dass sie die Grundsätze unseres Berufes kennen und die rechtlichen Rahmenbedingungen. Wenn du eine Kneipe aufmachst, musst du ja auch kein staatlich geprüfter Koch sein. Aber du musst wenigstens mal einen Kurs gemacht haben.

Petzold: Aber du musst Koch sein!

Osterkorn: Nein, musst du nicht.

Petzold: Ist ja verheerend, das wusste ich nicht.

Ostekorn: Du musst nur ein paar Grundzüge wissen über Hygiene und so.

Petzold: Eine Wurst kann ich dir auch braten, aber deswegen bin ich doch noch lange kein Koch.

Osterkorn: Es ist wirklich so. Du machst einen Wochenendkurs und dann kann es losgehen.

Petzold: Um Gottes Willen.

Warum, glauben Sie, verhält sich die Bild-Zeitung in der Bunte-Affäre so ruhig?

Petzold: Das weiß ich nicht, das müssen Sie Bild fragen.

Aber ich frage Sie.

Osterkorn: Die einfachste Antwort wäre, dass eine der zentralen Figuren bei Buntegate, nämlich Sebastian Graf von Bassewitz ...

... der Vize von Frau Riekel ...

Osterkorn: ... zwischendurch bei der Bild-Zeitung war, wo er angeblich auch mit CMK zusammengearbeitet haben soll. Da viele über diese Frage nachdenken, wird in diese Richtung sicher auch mal jemand recherchieren.

Hat die Bunte-Affäre beim Stern eine interne Diskussion darüber ausgelöst, was eine Geschichte ist und was nicht?

Osterkorn: Darüber wird diskutiert - aber nicht erst seit Buntegate. Um noch mal auf das Beispiel der schwulen Spitzenpolitiker zurückzukommen: Natürlich haben wir uns gefragt, ob man das über Wowereit und Westerwelle schreiben darf.

Petzold: Keiner hat's gemacht.

Osterkorn: Solange man sein Amt und das Private nicht miteinander vermischt oder sich politisch anders inszeniert als man privat lebt, ist das kein Thema für den Stern.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.