Stephanie-Rothman-Reihe auf der Viennale: Diskriminierung ist wie Säure
Stephanie Rothman ist eine Legende des feministisch orientierten Exploitation-Films. Sie griff brennende soziale Fragen auf und der Hedonismus spielte bei ihr eine wichtige Rolle.
Stephanie Rothman ist eine Legende, von der nur wenige wissen. Ihr Oeuvre ist schmal, ihre Karriere kurz und außergewöhnlich. In der Zeit, in der sie Filme dreht, gelingt ihr erstaunlich viel. Von heute aus betrachtet aber steht in der Mitte ihres Lebens ein Scheitern wie ein Stein, der sich nicht verrücken lässt.
Mitte der 60er-Jahre beginnt sie, für den Produzenten Roger Corman zu arbeiten. Dessen Name steht für billige, ohne Aufwand gedrehte Filme, die in Auto- und Bahnhofskinos laufen. Das Zielpublikum sind junge Männer, denen der Sinn nach nackter Haut und Action steht. Mit dem Film "The Student Nurses" landet Rothman 1970 einen großen Erfolg für Cormans Firma New World Pictures. Vier weitere Filme folgen, "The Velvet Vampire" (1971), "Group Marriage" (1973), "Terminal Island" (1973) und "The Working Girls" (1974). Alle gehorchen den Spielregeln des Exploitation-Kinos, alle werden mit knappem Budget und noch knapperem Zeitplan fertig gestellt, alle bieten das nötige Maß an Oberflächenreizen, und dennoch weichen sie vom gewohnten Exploitation-Schema ab.
Denn Rothman greift brennende soziale Fragen auf und lässt sich vom liberalen Geist der späten 60er-Jahre inspirieren, ohne ihm naiv zu verfallen; sie arbeitet mit lockeren Narrationen und dokumentarischem Material, mit gewagten Parallelmontagen und kühnen Überblendungen, mit surrealen Traumsequenzen und Jump Cuts, mit Mitteln also, die eher dem experimentellen Film als dem kommerziellen B-Film zu eigen sind. Wo sonst im Exploitation-Kino oft genug Sadismus den Plot antreibt, lässt Rothman den Spaß, den Hedonismus zum maßgeblichen Faktor werden. Und damit nicht genug: Indem sie konsequent die Perspektive und die Erfahrungswelt der weiblichen Figuren in den Mittelpunkt rückt, lädt sie ihre Filme feministisch auf. Gender-Stereotypen verkehrt und verwirrt sie. Spektakulär setzt sie in "The Student Nurses" eine Abtreibung in Szene. Um einen smarten One-Liner sind ihre Heldinnen nie verlegen. "Get your ass here, immediately", herrscht ein junger Mann seine Freundin in "Group Marriage" an. "You leave my ass out of this", kontert sie auf eine Weise, dass jedem klar wird: Der Typ ist ein Depp, und Widerrede ist zwecklos.
Doch nach "The Working Girls" verschwindet Stephanie Rothman von der Bildfläche. Andere für Corman tätige Filmemacher wie Jonathan Demme schaffen den Sprung ins A-Kino, sie nicht. Gelegentlich taucht ihr Name in filmwissenschaftlichen Arbeiten oder in Fachzeitschriften auf. Feministische Filmkritikerinnen wie Pam Cook oder Bev Zalcock schreiben über sie. Doch erst Ende der 90er-Jahre wird ihr mehr Aufmerksamkeit gezollt. Im Rahmen einer Retrospektive, die Roger Corman und Joe Dante gilt, laufen ihre Filme im Sommer 1999 beim Filmfestival von Locarno. Im November desselben Jahres organisieren die Feminale-Macherinnen Verena Mund und Carla Despineux in Köln eine Konferenz über Exploitation-Kino und Feminismus, an der Rothman teilnimmt und an die sie noch heute gerne zurückdenkt. Die diesjährige Viennale, das Wiener Filmfestival, hat ihr nun ein Sonderprogramm gewidmet.
Wie war es, einen Film wie "The Sudent Nurses" zu drehen? Einen Film, der den Vorgaben des Exploitation-Kinos gerecht wird, sie zugleich aber umgeht? Stephanie Rothman sitzt auf dem Sofa einer Suite im Hilton-Hotel, der Blick aus dem achten Stock reicht über den Stadtpark und halb Wien, auf einem Tablett vor ihr stehen ein Brotkorb und eine Schale mit Suppe. "Ich hatte die Freiheit, alles in dem Film unterzubringen, was ich wollte - unter der Bedingung, dass das, was Roger Corman als wesentlich erachtete, Nacktheit, Gewalt, auch dabei war." So kommt es, dass "The Student Nurses" nicht nur ein echtes Love-in und das Straßentheater von Chicano-Aktivisten dokumentiert, sondern überdies auch eine fröhliche Vielfalt filmischer Stile in sich vereint. "Ich habe das in den Film eingewoben, weil es die Dinge waren, die mich beschäftigten. Von jedem Film, den ich drehte, dachte ich, es sei der letzte, deshalb habe ich jeweils so viel unterzubringen versucht wie irgend möglich."
In wenigen Tagen, am 9. November, wird Stephanie Rothman 71 Jahre alt. Wenn man ihr gegenübersitzt, will man das nicht glauben, wirkt sie doch gut zehn Jahre jünger. Eine zierliche Gestalt, schlicht und elegant in rautengemustertem Wollpullover und hellgrauer Hose gekleidet, zurückhaltendes Make-up, randlose Brille, viele feine Falten rund um die Augen. Wenn ihr etwas nicht passt, sagt sie es ohne Umschweife. Sofia Coppola? Macht scheußliche Filme. Pam Grier? Eine Männerfantasie. Quentin Tarantino? "Was für eine Vegeudung von Talent." Ihr will nicht einleuchten, warum der Filmemacher, der zuletzt mit "Death Proof" eine Hommage ans Exploitation-Kino drehte, sich nicht weiterentwickelt, obwohl er die finanziellen Rahmenbedingungen dafür hätte. "Das Exploitation-Kino hat sich überlebt", sagt sie kategorisch, es sei heute nichts anderes als ein "archäologisches Fundstück". Nimmt sie "Death Proof" als Verbeugung vor ihrem eigenen Werk wahr? "Ach was. Eher vor Jack Hills 'The Big Doll House'."
Nach "The Working Girls" kann sie keine Arbeit mehr finden. "Alles, was es gab, waren Angebote für wirklich schlechte Exploitation-Filme. Ich konnte mich nicht dazu durchringen, also versuchte ich es anderswo. Ich schrieb ein paar Drehbücher und konnte sie verkaufen. Verfilmt wurde aber nur eines. Der fertige Film war so fürchterlich, dass ich meinen Namen aus den Credits tilgen ließ." Zehn Jahre noch versucht sie, wieder Fuß zu fassen in der Branche. Ohne Erfolg. Sie verlegt sich darauf, Lobbyarbeit für kalifornische Universitätsprofessoren zu betreiben, später investiert sie in Immobilien. "Ist das nicht fürchterlich uninteressant?", fragt sie. Gegenfrage: Hatte sie nie das Bedürfnis, wieder einen Film zu machen? "Ich verspüre dieses Bedürfnis an jedem einzelnen Tag meines Lebens. Aber ich habe die nötigen Beziehungen nicht, damit meine Drehbücher bei den Leuten landen, die die Entscheidungen treffen."
So hat die Karriere Stephanie Rothmans etwas Paradoxes. Zum einen ist sie der beste Beweis dafür, dass man sich auch in einem engen Rahmen viel bewegen kann, solange man nur Mut und Energie mitbringt. Ihre Filme machen deutlich, wie leicht man die misogynen Inhalte des Exploitation-Kinos umkrempeln kann. Zugleich jedoch ist Rothmans Geschichte die eines Scheiterns, einer unverdient früh abgebrochenen Laufbahn. In Wien wird das spürbar spätestens an dem Abend, an dem die Regisseurin neben der Avantgardefilmerin Nina Menkes auf dem Podium der Viennale-Zentrale sitzt. Mit "Exploitation vs. Avantgarde" ist die Veranstaltung überschrieben. Doch nur am Rande geht es um Ästhetik und Stil. In den Mittelpunkt des Gesprächs rückt rasch die Frage, warum es so hart ist, sich als Frau in der Filmbranche durchzusetzen. "Sich zu beschweren", sagt Nina Menkes, "ist unsexy." Und klagt trotzdem - über Zurückweisungen und darüber, wie konsensfähig Sexismus selbst und gerade im Experimentalfilm ist. Rothman widerspricht ihr nicht, hat sie doch ähnliche Erfahrungen gesammelt. Minder talentierte, aber männliche Filmemacher werden mit Projekten betraut, während sie selbst überall nurmehr "Nein" hört.
Menkes und Rothman sind an diesem Abend in Wien nicht so naiv, dass sie nicht wüssten, wie leicht sie mit ihren Ausführungen in eine Falle tappen, wie leicht sie sich ins diskursive Abseits stellen. Denn sobald man sein Scheitern mit Diskriminierung erklärt, scheint es wie eine billige Ausrede für persönliches Unvermögen. Dahinter steckt ein perfider Mechanismus: Man erlebt, wie Diskriminierung die eigene Biografie angreift wie Säure, kann das aber nicht benennen, weil das Reden über Diskriminierung als unattraktiv gilt und unattraktiv macht. Stephanie Rothman kann dieses Problem nicht lösen. Dass sie daran erinnert, ist ihr hoch anzurechnen.
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