piwik no script img

Steinmeier besucht İmamoğlu in IstanbulEine andere Türkei ist möglich

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Bei seinem Staatsbesuch trifft der Bundespräsident erstmal die Opposition. Damit bereitet er die Beziehungen auf eine Post-Erdogan-Türkei vor.

Bundespräsident Steinmeier während seines Besuchs auf dem Bosporus unterwegs Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

M it seinem Besuch in der Türkei setzt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ein starkes Zeichen: Er trifft die Opposition und erinnert an die türkischen Einwanderer nach Deutschland. Dass der Bundespräsident die Zuwanderung aus der Türkei zu einem Schwerpunkt seines Besuchs im Herkunftsland dieser Menschen macht, ehrt ihn. Es ist höchste Zeit, Einwanderung als Erfolgsgeschichte zu erzählen, statt immer nur Probleme in den Vordergrund zu stellen.

Doch wichtiger ist der zweite Akzent dieser Reise: die Treffen mit Opposi­tions­politikern. Steinmeier ist der erste hohe deutsche Repräsentant, der seit der Wahlniederlage Erdoğans bei den Kommunalwahlen am 31. März in die Türkei gereist ist. Empfangen wird er vom Sieger dieser Wahlen, dem alten und neuen Oberbürgermeister Istanbuls, Ekrem İmamoğlu.

Der überzeugende Sieg İmamoğlus in der größten Metropole des Landes war gleichzeitig das Sinnbild der Niederlage des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Es ist kein Zufall, dass sich Steinmeier zum Auftakt seines dreitägigen Besuches nicht in Ankara mit Erdoğan trifft, sondern in Istanbul mit dessen größten Konkurrenten. Man kann es als eine erste Witterungsaufnahme lesen.

Für die Opposition in der Türkei ist das wichtig: Deutschland und Europa halten eine andere Türkei offenbar für möglich. Daraus sollten dann aber auch Taten folgen. Erdoğan versucht, die von der Opposition regierten Metropolen finanziell zu strangulieren, Kredite aus Europa könnten da viel bewirken. Denn İmamoğlu und die anderen Bürgermeister der Opposition müssen nun in der Praxis zeigen, dass sie für die Bürger etwas tun können. Und dafür brauchen sie Geld.

Für die Menschen in der Türkei könnte Steinmeier aber auch noch etwas anderes tun – und damit auch für das Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen Deutschen und Türken. So sollte sich Deutschland auf EU-Ebene dafür einsetzen, dass Türkinnen und Türken endlich visafrei für Besuche in die EU einreisen können.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Sorry, ziemlich dünn: 1. Erdogan war selber Bürgermeister in Istanbul und hat damals viel für die Bevölkerung getan. Warum schaffen es die Medien nicht, seinen danach ausgebrochenen EGO-Wahn zu thematisieren? 2. Er hat immer noch viele Anhänger und deren Weltbild passt weder zu D noch zu EU. 3. Kein müdes Wort zu den Zigtausend Toten beim letzten Erdbeben.