Steigender Ölpreis: Billiges Benzin von Gott erbeten
taz-Serie zu steigenden Energiepreisen, Teil II: Die US-Bürger beten lieber als Sprit zu sparen.
WASHINGTON Wie immer übertreiben die Supermächtigen: Erst war der Benzinpreis in den USA übertrieben billig, nur 1 Dollarchen für die Gallone (3,8 Liter). Jetzt ist er übertrieben hoch: 4,40 Dollar pro Gallone. Wenn man bedenkt, dass jeder Amerikaner jedes Jahr im Schnitt 20.000 Meilen fährt, und wenn man hinzu denkt, dass die beliebten Riesen-Geländewagen gut und gerne 32 Liter auf hundert Kilometer fressen - dann musste etwas geschehen.
Die Energiepreise steigen stetig, Rohstoffe sind teuer wie noch nie. Was Appelle von Umweltschützern jahrzehntelang nicht vermochten, schafft nun der Preisdruck: Ein sparsamer Umgang mit Ressourcen wird zur Pflicht. Damit rücken auch wieder Technologien in den Mittelpunkt, die lange Zeit als unmodern oder wenig praktikabel galten, so wie zum Beispiel die Wasserbüffel in der thailändischen Landwirtschaft. Die taz hat ihre Auslandskorrespondenten gebeten, aufzuschreiben, wie die hohen Preise den Alltag der Menschen verändern und mit welchen Strategien sie das "Leben auf Reserve" meistern.
Und es geschah etwas. Rocky Twyman, Chef eines Washingtoner Kirchenchors, stellte sich an eine von Verzweifelten umringte Tankstelle und betete: "Gott ist der Einzige, an den wir uns in dieser Not wenden können", himmelte er die Zapfsäule an. "Unsere weltlichen Führer scheinen nicht in der Lage zu sein, etwas zu tun. Die Preise steigen und steigen!" Jeder, der seinem Beispiel folgen wolle - und es waren landesweit etliche im Fernsehen zu sehen -, könne es simpel halten: "Gott, erlöse uns von den hohen Spritpreisen. Das ist alles, was ihr beten müsst." Aber dann schickte Rocky doch noch schnell ein paar weltliche Tipps hinterher: "Wir müssen natürlich auch mehr laufen, das Auto zu Hause lassen und Fahrgemeinschaften bilden!"
Weg waren die Gläubigen. Sich ohne Auto fortbewegen ist unpraktisch in einem Land, wo schon die Vororte der Hauptstadt keine Bürgersteige haben. Auf dem Land fahren nur Überlandbusse, selbst im Großraum Los Angeles gibt es keine U-Bahn. Aber tatsächlich halten jetzt mehr Pendler den Daumen raus, um auf den Autobahnspuren am Stau vorbeizuziehen, die nur von Autos mit mehr als zwei Insassen benutzt werden dürfen.
Der Kongress hat vor ein paar Monaten die Vorgabe für den Durchschnittsverbrauch der US-Automobilflotte gesenkt: Die Autokonzerne möchten doch bitte schon bis 2020 dafür sorgen, dass ihre Schlitten mit 6,75 Litern pro 100 Kilometer auskommen.
Derweil hat sich ein neuer Volkssport entwickelt: "Hypermiling". Möglichst wenig bremsen, möglichst oft im Leerlauf fahren, sich in den Windschatten Vorausfahrender hängen, eingebaute Kühlschränke und Flutlichtanlagen abstellen - das Internet quillt über mit Tipps zum Spritsparen. Damit man den überdimensionierten Ford Ranger Pick-up nicht zu verkaufen braucht, denn solche Kraftprotze sind derzeit so gut wie unverkäuflich - während sich der Absatz von Hybrid-Autos binnen eines Jahres verdreifachte.
Die Händler reagieren auf die Krise mit typisch amerikanischem Marketing: In Virginia versprach ein Supermarkt zur Eröffnung Tankgutscheine. Die Wartenden verwandelten den Vorplatz des Nachts in eine Zeltstadt. In Nevada lockt ein Bordell mit einem Sprit-Discount für die Anfahrt; aber das wollte kein Kunde bestätigen. Bei der Fast-Food-Kette "Five Guys" kriegt man für 100 verzehrte Burger zehn Liter Benzin geschenkt. Und wenn sie nicht geplatzt sind, dann fahren sie noch heute.
Aber vielleicht haben Rocky Twymans Beschwörungen doch geholfen. Im Juni fuhren die Amerikaner 12,2 Milliarden Kilometer weniger als im gleichen Monat des Vorjahres, ein Rückgang um 4,7 Prozent. Mir nichts, dir nichts gelang es den USA, ihren täglichen Rohölbedarf in den ersten sechs Monaten des Jahres um 800.000 Barrel (159 Liter) gegenüber dem ersten Halbjahr 2007 zu senken. Na also, geht doch.
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