Steigende Preise: Tierisch große Not
Coronapandemie, Energiekrise: Die Kosten für ihre Katzen und Hunde zu stemmen, ist für viele schwierig. Der Andrang bei den Tiertafeln ist hoch.
Alle zwei Wochen verteilen Schott und knapp 15 ehrenamtliche Helfer und Helferinnen alles, was Hund, Katze und Nager benötigen – von Futter, Hundeleinen, Transportboxen bis hin zu Spielzeug oder Schlafkörbchen. „Durch Corona und Geflüchtete aus der Ukraine brauchen wir deutlich mehr Futter“, sagt Schott, die seit 17 Jahren bei der Tiertafel arbeitet. Zu den Ausgabeterminen kommen zwischen 80 und 120 Menschen. Es werden immer mehr, denn nach pandemiebedingten Kündigungen, Kurzarbeit und steigenden Energie- und Lebensmittelpreisen sind nun auch die Behandlungen beim Tierarzt teuer geworden: Seit 22. November ist eine neue Gebührenordnung mit teils deutlich höheren Preisen in Kraft.
Für viele Tafel-Besucher war der Tierarzt schon vorher zu teuer, deshalb gibt es hier auch tierärztliche Hilfe und Spezialfutter. „Besonders ältere und allergische Tiere sind auf abgestimmtes Futter angewiesen“, erklärt Schott. Gerade kniet Tierheilpraktiker Karsten Höhne auf der Matte und behandelt die Gelenkprobleme eines Chihuahua-Hundes mit Laserakupunktur, Mike Albertsen vom „Tier-Notruf.de“ tupft die Wunde eines großen Hundes ab.
Schätzungsweise 1.000 Tiere versorgt die ehrenamtliche Hamburger Tiertafel aktuell. Für Geflüchtete aus der Ukraine findet parallel eine separate Ausgabe statt, um im Winter die Wartezeit für alle so kurz wie möglich zu halten. Auch andere Tiertafeln haben alle Hände voll zu tun: In Berlin hat sich die Nachfrage durch ukrainische Geflüchtete mehr als verdoppelt, 500 Tierhalter benötigten bis Juli eine Erstausstattung, 250 kommen regelmäßig vorbei.
Aufnahme-Stopp mit Warteliste
In München stieß die Tiertafel bereits an ihre Grenzen. „Wir waren vorher schon am Limit und dann kamen 130 ukrainische Familien mit ihren Haustieren dazu“, sagt ihre Leiterin Andrea de Mello. Seit Juni gibt es in München einen Aufnahme-Stopp mit Warteliste. „Aktuell haben wir vermehrt Anfragen von Menschen, die Arbeit haben“, erzählt de Mello. Durch enorm gestiegene Lebenshaltungskosten könnten Familien plötzlich anfallende Tierarztkosten oder teures Spezialfutter „einfach nicht mehr auffangen“.
Auch Kara Schott kennt viele traurige Geschichten. „Was ich hier miterlebe, berührt mich schon sehr“, sagt sie. Manche verloren ihren Job, sind arbeitsunfähig, obdachlos oder leben von Hartz IV. Oft haben sich Freunde und Familie abgewendet. Ohne ihren Hund würden einige gar nicht aufstehen, aber Waldi müsse nun mal raus: „Das Haustier ist oft der letzte Freund, den es gibt“, weiß Schott. Manchmal ist die Tiertafel auch nur eine Zwischenstadtion. „Wer sich keine Sorgen mehr um sein Tier machen muss, kann für sich nach vorn gucken und findet dann vielleicht auch einen Job“, sagt Schott.
Andere wie Gabriela Kochbatir haben bereits ihr Leben lang gearbeitet. „Meine Rente reicht einfach nicht“, erzählt die Altenpflegerin, die ehrenamtlich Demenzkranke betreut. Sie benötigt Spezialfutter für ihren zehnjährigen Kater Mikesch. „Er ist mein Ein und Alles“, sagt sie und lacht. Dankbar steckt sie die Futterdosen in ihren Beutel. Hilfe von der Tiertafel bekommt man grundsätzlich nur, wenn das Tier schon vor der Notlage da war. „Wir wollen keine unüberlegten Neuanschaffungen unterstützen“, erklärt Schott entschieden.
Verantwortungslos findet die engagierte Tierfreundin auch, wie teilweise mit Tierfutter umgegangen werde. Die Tiertafel ist auf Spenden angewiesen und braucht dringend Futter. Hier könnten Hersteller und Fachhändler nicht nur an Weihnachten deutlich mehr tun: „Es wird immer schwieriger, an Spenden zu kommen“, sagt Schott. Auf der anderen Seite werde Futter, das gerade abgelaufen sei, einfach vernichtet. Schott: „Tierfutter gehört nicht in den Müll.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Frauenfeindlichkeit
Vor dem Familiengericht sind nicht alle gleich