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Stehplätze in FußballstadienSteh auf, wenn du nen Sitzplatz hast!

Aus Fans, die auf den billigen Plätzen stehen, werden Verbrecher gemacht. Doch die Gefahr lauert in den Stadien anderswo: auf den gemütlichen Sitzen.

Stehen, rennen, stürmen, zündeln – der Kulturmensch kennt viele Formen der überschwänglichen Fanfreude. Bild: dpa

BERLIN taz | Es ist noch kein Jahr her, da tobte in Deutschland eine Sitzplatzdiskussion. Es ging um den Präsidentenstuhl. Sepp Blatter, der Chef des Internationalen Fußballverbandes, hatte sich angeblich darüber beschwert, dass der für ihn vorgesehene Stuhl im Frankfurter Frauen-WM-Stadion nicht genau in der Verlängerung der Mittellinie angebracht worden war.

Es waren schwere Zeiten für den Fifa-Boss. Der Kongress seines Verbandes kurz vor der Frauen-WM hatte einmal mehr verdeutlicht, dass die Fifa eine Art Verbrecherorganisation ist.

Und dann die Stuhldiskussion. Häme wurde ausgeschüttet über den Fifa-Boss, der das mit dem Stuhl bald schon dementieren ließ. Er hatte dann einen guten Sitzplatz unweit des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff.

Stehen und sitzen

Berlin taz | Stehen und Aufstehen sind bedeutende Kulturtechniken: Sie unterscheiden den Menschen vom Tier und sind der erste Schritt vor dem Losgehen. Der Sitzer konsumiert, der Steher partizipiert. Kein Wunder, dass es vom kollektiven Aufstehen nicht weit zum Aufstand ist, den Autokraten überall dort fürchten, wo Menschen stehen statt brav zu sitzen: Aufstehen bei Rockkonzerten war sowohl in der DDR als auch bei Beatles-Konzerten im Japan der 60er Jahre verboten, dafür sorgte das Saalpersonal. Nach dem 11. September wurde bei Konzerten großer amerikanischer Bands wie den Eagles oder Pearl Jam ähnlich verfahren.

Auch das „Secure Flight Programm“ der USA verbat es 2010 Passagieren, im Flugzeug aufzustehen, außer wenn sie zur Toilette wollten. Besonders kreativ war die tschechische Stadt Rotava, die 2011 alle Parkbänke entfernte und sowohl ein öffentliches Sitz- als auch Stehverbot einführte. Ziel: die Roma aus dem Stadtbild zu entfernen.

Derzeit tobt in Deutschland eine Stehplatzdiskussion. Sicherheitspolitiker, allen voran Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, fordern die Abschaffung der Stehplätze. Von ihnen gehe zu große Gefahr aus für Leib und Leben von Fans, Spielern, Sicherheitspersonal und Polizei. In der Tat wird nicht selten gezündelt auf den Tribünen. Viele Fans, die sich der Ultrabewegung zugehörig fühlen, wollen nicht verstehen, dass es nicht erlaubt sein soll, Stadien mit bunten Rauchwolken in stimmungsvolle Arenen zu verwandeln.

Nicht freud-, sondern gewaltvoll sind die Bilder

Doch die Bilder von brennenden Kurven erzeugen längst eine ganz andere Wirkung. Sie stehen nicht für die Freude am Fußball, sie stehen für Gewalt. Aus Fans, die bengalische Fackeln hochhalten, sind in der Wahrnehmung vor allem der Sicherheitspolitiker längst Verbrecher geworden.

Die Fans, die zündeln, stehen auf den billigen Plätzen der Stadien. Die Abschaffung der Stehplätze wird da schnell als Allheilmittel in der Verbrechensbekämpfung gesehen. Aber stimmt eigentlich, was da verkündet wird? Oder sind die wahren Verbrecher nicht eher auf den Sitzplätzen zu finden?

Sepp Blatter, der Boss dieser schrecklich korrupten Fußballfamilie, ist im Kreise der sitzenden Verbrecher eine kleine Nummer. Die ukrainischen Staatslenker, die ihre politischen Gegner wegsperren und Tausende Menschen auf den Polizeiwachen des Landes foltern lassen, sind da schon ganz andere Kaliber. In einer gewöhnlichen Stehplatzkurve eines Bundesligastadions ist gewiss weniger verbrecherische Energie versammelt als auf den Ehrentribünen der EM-Spiele in der Ukraine.

Sitzend Fussball gucken, zeitgleich foltern lassen

Unvergessen sind auch die Bilder von dem argentinischen Diktator Jorge Rafael Videla, der sich sitzend die Spiele der Fußball-WM 1978 ansah, während in den Folterkellern des Landes unzählige Menschen verschwunden waren.

Die knapp 25.000 Menschen, die sich alle zwei Wochen auf die riesige Südtribüne im Dortmunder Westfalenstadion stellen, sind gewiss weniger angsteinflößend, als es die argentinische Folterdiktatur war. Nein, die wahren Verbrecher sitzen auf den teuren Plätzen.

Warum fordert eigentlich niemand ein Sitzplatzverbot?

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11 Kommentare

 / 
  • KK
    Karl K

    @07.06.2012 14:03 UHR

    von Wyatt Trash:

    @Karl K

     

    Was haben Arjen und Franck damit zu tun?"

     

    Keine Ahnung. Sieht man auf Stehplätzen echt selten.

    Sind eher typische Sitzplatzaspiranten.

    Obwohl - Marseille?! Who knows!

  • WT
    Wyatt Trash

    @Karl K

     

    Was haben Arjen und Franck damit zu tun?

  • L
    Lenafan

    @Lena

    Du hast teern, federn und aus der Stadt jagen vergessen.

    (Meine Ironie darfst du behalten)

  • T
    TDD

    Stehplatzverbot als Allheilmittel klingt interessant. Sollte man vielleicht auch in verschiedenen Krisenregionen der Welt anwenden, damits ins Syrien z.B. auch endlich aufhört mit knallen.

  • L
    Lena

    Ach ganz vergessen. Personen welche Pyrozeugs benutzen SIND Verbrecher. Damit wird nämlich unsere Umwelt zerstört. Solche Leute gehören geächtet und an den Pranger gestellt.

  • L
    Lena

    Fussball am besten komplett verbieten. Dann würde es keine Probleme mehr geben.

  • C
    Can

    Ein Sitzplatz verbot - sehr interessant.

    Finde die gegenüberstellung der Gewalttätigen, ob mit Bengalos, oder Dikatoren die im "Geheimen" agieren sehr passend & eine interssante denkensrichtung.

     

    Zum aktuellen problemfall :

     

    Wenn schon von Ticket-Aufpreisen gesprochen wird, die angeblich "gezielt" für den Polizeieinsatz in Stadien übertragen werden sollen, kann man als "normalo fan" eigentlich nur den kopf schütteln.

    (wieder grundsätzlich jedes Problem mit Geld bekmpfen)

     

    Meiner Meinung nach, sollten Wir gemeinschaftlich eine Meinung gegenüber unserem Innenmenister vertreten (der die Stehplätze abschaffen möchte,wahrscheinlich um sein bzw. ihre Tasche zu füllen), dass gegen diese "ängste" ( Das Menschen unter diesen Umständen-Bengalos zuschaden kommen & damit der Fußball gleich mit ) nicht immer mit Finanziellen mitteln gehandelt werden muss.

     

    Die Mehrzahl an Fans im Stadion & außerhalb sind friedlich!!

    Wenn diese Fans keine Aufpreise bzw keine Stehplatzverbote möchten, sollten sie geschlossen im Kollegtiv gegen diese "Kriminellen" vorgehen, mit MUT!!

    d.h.

    Wenn 2.000Fans mist bauen. aber parallel 40.0000 den im Stadion direckt wärend den vorfalls druck machen, überlegen die sich das zweimal ob es sich wert ist.

    -dann schüren wir nämlich ängste bei dennen.

     

    Ich halte diese "Ultras" für so dämlich, dass diese art der Bestrafung die noch antreiben wird, vor oder nach dem spiel mehr ärger zu machen, was noch teurer und noch gefährlich wird "ein stadion kontrollieren ja, eine stadtteil kontrollieren?! ( siehe England, wo die Stehplätze abgeschafft & die Preise angehoben worden sind).

     

     

    Also Leute, Wachsam bleiben & von Kriminellen, egal ob Lobbyist oder Ultra unsren Sport nicht zerstören.

    Da hängt nicht nur der Stadionbesucher,TV zuschauer,Spieler/Trainer zusammen - sondern Tausende Kids die nach oben schauen & sich fragen, was machen die da? - Oh ein Problem? Wo kriegen wir das Geld her um es zu lösen? ;)

     

     

     

     

    An allen " " & ( ) jetzt vorbei.

    Millionen Menschen verbindet Fußball - Wir bezahlen den ganzen Spaß, von anfang bis ende.

    Da sollten wir uns von Wohlgenährten Leuten, die das Problem überhaupt nicht verstehen wollen, da sie ihren eigenem Profit (egal ob Politisch oder Finanziell)interssiert sind.

     

    Das Kulturelle ist den völlig egal.

  • MN
    Mein Name

    Boah, man kann sich auch Vergleiche zusammenschustern! In China ist ein Sack Reis umgefallen. Warum verlangt man nicht eine bessere Lagerung von Reissäcken in China? Was haben den ukrainische Funktionäre/Politiker mit Bundesligaspielen zutun!? Natürlich kann man alles wieder auf die Kapitalismus-Kritik-Ebene runterziehen und Reichenbashing betreiben.

    Aber beim Fußball verbiet ich mir das! Wenn ich Fußball schaue möchte ich einen Ball, 22 Spieler, ein Schiedrichter-Team, schöne Spielzüge und viele Tore sehen! Was ich auf keinen Fall möchte ist, dass das Spiel wegen irgendwelcher dummen Aktionen unterbrochen oder gar abgebrochen wird! Und ich möchte auch nicht, dass ein Spiel zur Farce wird, weil Anhänger vor Abpfiff auf den Platz stürmen.

    Ob deshalb Stehplätze abgeschaft werden müssen, weis ich nicht. Bin kein Sicherheitsexperte. In England hats wohl geklappt. WENN es hilft dass man wieder ungestörter Fußball schauen kann, würde ich jedenfalls nicht davor zurückschrecken!

  • K
    Klaus

    Heißt das jetzt alles anzuzünden sei ok, weil beschriebene schlechte Menschen auch ins Stadion gehen und die machen ja andernorts viel schlimmeres? Die Kritik ist sicherlich richtig, aber in diesem Artikel eher der Vergleich von etwas was man nicht vergleichen kann.

  • M
    Morrrk

    "Die Fans, die zündeln, stehen auf den billigen Plätzen der Stadien. Die Abschaffung der Stehplätze wird da schnell als Allheilmittel in der Verbrechensbekämpfung gesehen. Aber stimmt eigentlich, was da verkündet wird? Oder sind die wahren Verbrecher nicht eher auf den Sitzplätzen zu finden?"

     

    Wer Bengalisches Feuer ins Stadion schmuggelt, ist bereits ein "wahrer Verbrecher". Er/Sie muß es noch nicht einmal Abbrennen, sonstwohin schmeißen oder gar jemanden damit verletzen. Bengalos sind in deutschen Stadien seit November 2011 verboten. Das ist der Status Quo.

    Daß es Stadion-Pyromanen auch in reinen Sitzplatz-Arenas geben würde, ist keine Frage. Weder das noch die Tatsache, daß sie keine FIFA-Bosse und Diktatoren sind, macht diese "Idioten" (offizieller Reportersprech) zu weniger wahren Verbrechern.

  • KK
    Karl K

    Seggt is seggt.

    Und wiederhol ich mich gerne:

     

    Da zitier ich mal meinen Freund und Sangesbruder aus

    Doortmund Huckarde-Nord: " Jetzt wollen sie der Arbeiterklasse

    auch noch die Stehplätze wegnehmen!"

     

    Nachdem Hitler die große Arbeitersportbewegung zerschlagen hatte,

    gelang es der weit kleineren bürgerlichen Sportbewegung nach WK II unter wesentlicher

    Mithilfe des Nazis Carl Diem den Sport in vergleichsweise unbedeutende Landessportbünde und die von der bürgerlichen Sportbewegung dominierten

    Fachverbände mit internatinalem Startrecht zu organisieren und zu spalten.

     

    Die geforderte Abschaffung der Stehplätze wäre sozusagen

    der signifikante Abschluß dieser mit gewaltigen Steuergeldern finanzierten

    robbery und Selbstbedienung.