Stefan Reinecke über Andrea Nahles und die Krise der SPD: Eine Totalrenovierung
Die Sozialdemokraten taumeln dem Abgrund entgegen. Der Plan, die Partei zu erneuern, während man mit der Union regiert, ist gescheitert. Gleichzeitig eine halbe Wende nach links zu vollführen und an Merkels Kabinettstisch zu sitzen, funktioniert nicht. Zudem hat die Partei jenes Gespür für den Zeitgeist verloren, das sie mal ausgezeichnet hat. Die Krise ist umfassend. Die SPD ist, obwohl dramatisch geschrumpft, unbeweglich wie ein Tanker. Die Sozialdemokraten werden mit kleinen Schritten in der Sozialpolitik identifiziert. Bei Europa, Steuern und Ökologie wirken sie unschlüssig. Ihnen fehlen Vitalität, Ideen und Dringlichkeit – Tugenden, die sie, anders als die Union, existenziell braucht. Niemand weiß, ob die SPD in der Opposition aufblühen kann oder dort endgültig vertrocknet. In dieser Regierung ist allerdings nur die Frage, wer als Letzter das Licht ausmacht.
Also weg mit Andrea Nahles, dem Machtzentrum der SPD? Dass es Kritik an der Fraktionschefin gibt, ist immerhin ein Lebenszeichen. Eine Partei, die so ein Desaster wie die Europawahl achselzuckend hinnehmen würde, wäre tot. Und Gründe gegen Nahles gibt es. Sie verkörpert das Apparathafte der SPD. Ihre routinierte Art, das Wahldesaster halb schön zu reden, wirkte gespenstisch.
Trotzdem kann man bezweifeln, dass es viel nutzt, sie nun vom Hof zu jagen. Denn die mögliche Konkurrenz, ob Martin Schulz oder Achim Post, Hubertus Heil oder Matthias Miersch – niemand hat andere Ideen. Die SPD-Fraktion will mit bangem Blick auf die Umfragen bloß keine Neuwahlen, sie will weiter regieren. Dabei steht der SPD als Erstes die schmerzhafte Erkenntnis bevor, dass diese Groko ein Fehler war. Wenn sie das erst verstanden hat, benötigt sie ein plausibles Ausstiegsszenario. Und mittelfristig eine Wende nach links – ohne Nahles, Schulz und Co, mit unverbrauchtem Personal.
Eine andere Figur jetzt an die Fraktionsspitze zu setzen, die sich weiter an die Hoffnung klammert, die Krise in dieser Regierung zu lösen, wird nichts helfen. Die SPD braucht keine neue Fassade, sondern eine Totalrenovierung. inland 7
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