Stefan Raabs neuer Politiktalk: Speed-Meinungsbildung
Die Premiere von „Absolute Mehrheit“ nervte mit Werbeunterbrechungen und Raabs Gerenne zu Peter Limbourg. Aber niveauloser als die Öffentlich-Rechtlichen war sie nicht.
Es war gerade einmal acht Minuten lang diskutiert worden, da unterbricht Stefan Raab seinen Gast Michael Fuchs (CDU). „Speed-Meinungsbildung“, entschuldigt sich der Moderator, tapert zum wenige Meter entfernt sitzenden Peter Limbourg und holt sich erstmal sein Lob ab: „Guter Anfang, Herr Raab.“
Doch leider hat Raabs neuer Polittalk „Absolute Mehrheit“ zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht angefangen: Es wird begrüßt, erklärt und das von den Anrufern zu gewinnende Auto eingeblendet.
Raab will mit der Show eine neue Dynamik erzeugen, weg vom Plasberg-Jauch-Will-Endlos-Gelaber. Drei Themen, fünf Gäste, wer mehr als 50 Prozent der Zuschauerstimmen auf sich vereint, gewinnt 100.000 Euro. Zack, zack. Mit dieser Geschwindigkeitsdiskussion soll Politik wieder interessant gemacht werden für die jungen Zuschauer. Die Zielgruppe!
Und was passiert? Wolfgang Kubicki (FDP) kommt ohne Krawatte, Thomas Oppermann (SPD) kommt ohne Krawatte, Jan van Aken (Die Linke) kommt ohne Krawatte, Unternehmerin Verena Delius kommt ohne Krawatte, CDU-Wirtschaftsexperte Fuchs kommt mit Krawatte – und scheidet nach der ersten Runde aus. Zu wenige Stimmen, Platz fünf im Ranking, bitte nicht mehr anrufen.
Fuchs darf natürlich weiter sitzenbleiben auf dem braunen Sofa unter dem großen gerupften Adler und dem Portrait von Bundespräsident Joachim Gauck. Im Gegensatz zu Raab: Der muss immer und immer wieder zu Limbourg marschieren, sich die Zwischenstände oder Endresultate abholen, das Auto einblenden lassen, oder in die Werbung schalten.
Fehlende Dynamik
Doch Dynamik entsteht nicht durch Dauerunterbrechung. Die Sendung wirkt fahrig. Immer wieder muss es der Gedanke eines Gastes schaffen über die Redepause hinweg im Gedächtnis zu bleiben. Es erinnert an die ersten Versuche von Thomas Gottschalks Vorabend-Talk in der ARD.
Nun werden Politiker wie Bundestagspräsident Lammert, der die Show schon vorab als „absoluten Unfug“ bezeichnet hatte, hoffen, dass „Absolute Mehrheit“ ein ebenso schnelles Ende findet wie einst „Gottschalk live“. Dabei ist Raabs Talk nicht niveauärmer als all das, was uns ARD und ZDF jeden Abend vorsetzen. Oppermann spricht von „Nettovermögen“, Kubicki von „Substanzbesteuerung“ und Jan van Aken von der armen Krankenschwester, „die sich den Rücken krumm arbeitet“. Komplexer, tiefgehender wird das Gerede bei den öffentlich-rechtlichen Talkkollegen auch nicht.
Um 0.11 Uhr, die Show ist bald eineinhalb Stunden alt, geht Raab dann ein letztes Mal zu Limbourg. Kubicki gewinnt, zur absoluten Mehrheit reicht es nicht. Die 100.000 Euro wandern in den Jackpot. Ein nächstes Mal kommt bestimmt. Schließlich haben wir an diesem Abend „viele schöne Argumente gehört“. Jetzt aber ab ins Bett, Herr Limbourg. Zack, zack.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen