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Stefan Raabs Casting-Show"Arschbombe" im Refrain

Casting für ein Ticket zum Eurovision Song Contest. Stefan Raabs Show etabliert sich in der dritten Sendung als Triumph des coolen Geschmacks. Aber wer lud bloß Nena ein?

Außerhalb des ästhetischen Schredderprozesses: Lena Meyer-Landrut. Bild: screenshot unser-star-fuer-oslo.de

BERLIN taz | So sprach also König Boris von „Fettes Brot“ zur Kandidatin Lena Meyer-Landrut: „Ich fänd's toll, wenn du uns vertrittst. Westerwelle & Co. ruinieren das Land und du fährst nach Oslo und biegst es wieder grade." Das war in gewisser Weise der letzte Beleg für das Gefühl, dass Stefan Raabs Castingshow „Unser Star für Oslo“ sich grob und hörbar von allen anderen Formaten dieser Gattung unterscheidet.

Raab, mit der ARD in Kooperation für den diesjährigen Eurovision Song Contest, lud im Herbst vorigen Jahres Talente und solche, die sich für begabt halten, zum Experiment: Zeigt, was ihr als Musiker und Musikerinnen zu bieten habt – und am Ende könnte der Sieger für Deuschland bei der 55. Auflage des global publikumsträchtigsten Showevents an den Start gehen. Dem Eurovision Song Contest.

Gestern, in der dritten Vorrunde, wurden zwei von zehn KandidatInnen ausgesiebt, es traf am Ende, nach Publikumsabstimmung per Telefon und SMS, die armenischstämmige Chanteuse Meri Voskanian und die stark erkältete Straßenmusikerin Maria-Lisa Straßburg. Verloren haben sie nicht, gewonnen haben lediglich acht andere, mindestens die Chance, in der nächsten Runde (Dienstag, 23. Februar, Pro7, 20:15 Uhr) erneut aufzutreten.

Allerdings kristallisierten sich in dieser dritten Ausgabe von Raabs Castingshow bereits Trends heraus, erste Hinweise, wer am 12. März, beim Finale, das die ARD übertragen wird, als die zwei Letzten aus knapp 5000 AspirantInnen wirklich ein „Star für Oslo“ wird.

Christian Durstewitz und Lena Meyer-Landrut, zwei kurz vor dem Abitur stehende SchülerInnen, zeigten, was sie bei Dieter Bohlen nicht unter Beweis stellen könnten: weil sie in puncto Look eher gar nicht dem modischen Ideal dürrer Models entsprechen. Meyer-Landrut, die von Jurorin Nena „Hysterie“ attestiert bekam – was die Angesprochene als Lob empfinden sollte – unterschied sich wie Durstewitz wirklich von allen anderen. Ihre Performances hatten Souveränität und Anmut zugleich.

Lena Meyer-Landrut kommen am ehesten dem Ideal dieser Show gleich: Zeige uns deinen Hunger, dass du ernsthaft interessiert bist, als Musiker ein Star zu werden – aber ohne dich dem ästhetischen Schredderprozess der Musikindustrie zu unterwerfen (wie bei DSDS und Bohlen). Der Song „Change“ von Durstewitz war eine Rarität – er nutzte wie Meyer-Landrut mit „Diamond Dave“ eher chartfernes Songmaterial, um zu zeigen, was in ihm steckt.

Was König Boris, neben Nena der zweite von Raab hinzugebetene Experte, zu sagen hatte, wusste obendrein durch politischen Witz zu charmieren. Der Verweis auf Westerwelle und dass der und die Seinen das Land ruinieren, mag Raabs politischer Überzeugung nicht entsprechen, doch es gehört ebenso zum Konzept der Show.

Auch das König Boris von einer Sängerin forderte, sich weniger Zurückzuhalten, sondern mehr "Arschbombe" im Refrain zu bringen, dürfte Raab gefallen haben. Bloß kein laues Baden, keine Rücksichtnahme auf Sprachregelungen öffentlich-rechtlicher Sender, nicht allen wohl und niemand weh!

Bleibt zu erwähnen, dass der Nervfaktor des Abends Nena war, inzwischen eine Art Zarah Leander der Postpunkgeneration, eine Mutti mit seifigem Ayurveidaappeal. Sie fand alle schön und toll und super und war partout nicht zu bewegen, ihre Urteile mal etwas genauer zu differenzieren, also, im Wortsinn eine Haltung zu zeigen, die nicht alles unter den Rock neuer deutscher Mütterlichkeit packt, sondern sich angreifbar macht.

Nena, von Raab ein ums andere Mal angefrotzelt – etwa nach deren Spruch "Mit dem Wort professionell kann ich ja nicht so viel anfangen“ – gehörte andererseits auch zu dieser Schau der performenden Möglichkeiten: Sie war ja einst der Beweis, dass schlagerrumpelige Musik nicht sein muss, um in Deutschland krassen Erfolg zu haben.

Die Quote jedenfalls war für Raab – und die ARD, die sich von diesen Vorrunden einen Zufluss jugendlichen Publikums für sich selbst erhofft – mit 13 Prozent und 2,2 Millionen Zuschauern einmal mehr zufriedenstellend bis gut.

Alle Videos aller Künstler der Casting-Show sind noch immer auf der Website der Show anzuschauen.

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10 Kommentare

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  • V
    viewer

    Bei aller Sympathie für Raabs Kandidaten, die meisten sind vor allem tole, individuelle Typen, aber keine herausragenden Sänger. Der Song „Change“ von Durstewitz hatte in meinen Ohren maximal Straßensänger-Niveau.

     

    Ganz nebenbei: Bei RTL sang Favorit Menowin Fröhlich ebenfalls den Song "Change" und war um mindestens 3 Klassen besser als der Raab-Kandidat. Irgendwo bei Clipfish findet sich sicher ein Ausschnitt.

     

    Man mag von Menowin Fröhlich halten was man will, aber er ist ein begnadeter Musiker. Davon hat Raab leider keinen einzigen.

  • F
    Felix

    Doch doch

     

    Der Artikel verweist schon zurecht auf eine gewisse Qualität der Sendung - relativ bemessen am Rest der TV (ich schreibe jetzt mal absichtlich nicht "deutschen TV").

    Wieso? Weil es Charme und Gutmütigkeit hat. Wer reinschaut, weil er zusehen will, wie einige Kandidaten gedemütigt werden, nachdem sie sich zu billigem Pop Abklatsch in Dessous geräkelt haben, wird halt nicht befriedigt werden.

    Was mich aber mal interessieren würde - woher nimmt der Verfasser die Auffassung, dass der Raab ein FDP Anhänger sei? Ich würde ihn eher der SPD zuordnen, wenn man bedenkt, wie oft er grade diesen Bonzencharakter aufs Korn nimmt.

  • A
    Andi

    Jaja, von wegen, USFO sei ganz anders als das Mainstream-DSDS. So ganz toll und alternativ. Ist jemandem schon aufgefallen, dass alle Top-20-Kandidat_Innen jung und gutaussehend (lookistisch) sind ? Eine dicke 47-jährige Hausfrau wie Susan Boyle - hätte sie auch noch so gut gesungen - wäre nie in die Show gekommen. Die Songs, die bei USFO gecovert werden, sind ebenso fast alle genauso 0815-radiobekannt.

    Es gibt zwar keine Demütigungen der Kandidat_Innen in den Liveshows selber, dafür aber bei den Clips anschließend in TV Total, wo man über die lacht, die es "knapp nicht geschafft haben".

    Die jeweils geringfügigen Abweichungen von Castingformaten wie DSDS sollen Opposition und damit Coolness vorspielen. So funktioniert Mode. Sei nicht 100 % Mainstream, aber 80, und schalte dafür 200 % Kommerzialisierung dazu: Rotkäppchen-Sekt, Sponsor fürs Verlosungsauto, "nur ein Spot", und ganz zufälligerweise haben auch alle JurorInnen neue Alben zum Vorstellen...

     

    Wenn DSDS Berlin-Mitte ist, dann ist USFO auch schon ein "Latte macchiato"-Prenzlauer Berg. Da ändert auch die Hofberichterstattung nichts dran.

  • T
    Tom

    Endlich mal eine, die authentisch das sagt was sie meint-Sehr gut fand ich das Nena in der Castingshow sich nicht von dem Lästermaul Raab beeinflussen hat lassen sondern sie selbst war und zum Schluss sagte das sie da nicht mitmache wenn es um Bewertungen und Meinungsmacherei ginge--mein Respekt für Nena. Tom

  • F
    frager

    Triumph des coolen Geschmacks?

    Was soll man den unter coolem Geschmack verstehen?

  • C
    CaliCali

    So viel Text für ein so unwichtiges Thema...

    erschreckend,dass ich alles gelesen habe.

  • A
    Andreas

    Lena ist ja gut und schön, und die kann bestimmt auch als coole Künstlerin erfolgreich sein - aber als Grand-Prix Beitrag schiesst die doch total am Ziel vorbei. Jemand mit coolem Indie-Appeal gewinnt doch keinen Paneuropäischen Show-Wettbewerb bei dem per Telefon abgestimmt wird. Das sieht man doch an den Siegern der letzten 30 Jahren.

  • I
    Inti

    Also ich finde die Show ja auch eine Erscheinung der angenehmeren Art im Deutschen Doofen TV, aber das hier klingt doch eher nach 'nem PR-Waschzettel als nach TV-Kritik. Ja die Leute können singen, ja, die Songs sind interessant ausgewählt und die Band (es gibt wenigstens eine) vermag sie famos zu interpretieren. Aber außer ein bissel Nena-bashing einfach kritiklos über Raab und ProSieben berichten und mit Verweisen auf die nächste Show und die Website einfach vulgäre WErbung unterbringen - dafür lese ich taz nicht.

  • Z
    Zuza

    Lieber Herr Feddersen,

    ich empfinde diesen Artikel als gut zusammengefasst und schön auf den Punkt geschrieben.

     

    Zu ihrer Einschätzung von Nena möchte ich noch etwas beisteuern.

    Vielleicht sollten wir, wenn wir uns von ihr genervt fühlen mal fragen, WIESO das so ist und WAS genau sie da eigentlich in uns anklingen lässt.

     

    Ich habe den Eindruck, dass diese Frau sich durchaus verständlich ausdrückt. Ich glaube allerdings, dass sie über etwas spricht, das den meisten Menschen entweder egal oder (noch) unbekannt ist.

    Und deswegen hören wir eher weg oder unterstellen ihr, sie "differenziere nicht" oder zeige "keine angreifbare Haltung".

     

    Die meisten ihrer Kommentare beziehen sich auf das Wachsen und die Entwicklung des Einzelnen. Sie rät dazu, "bei sich" zu bleiben und authentisch zu sein.

     

    Damit war sie für mich durchaus eine Bereicherung für die Show.

     

    Viele Grüße und eine schöne Woche noch!

  • J
    Journalismus

    Eine Single, die Platz 13 erreicht gilt für Herrn Feddersen als chartfernes Material?

     

    Ist es denn wirklich zuviel Arbeit sich mal eben schnell über die Songs zu informieren, bevor man sie kategorisiert.

     

    Ansonsten ist der Artikel sehr nett.