: Staufrei durch die Love Parade
■ Die planetcom regelt per verbindlicher Richtlinien schon vorab den Verkehr. Die rollenden Raverbühnen sind breiter als je zuvor. Fabrikneue High-Tech-Fahrzeuge statt Pritschenwagen
Georg Gall nimmt die „politische Demonstration“ ernst. Für den Anästhesisten des schließungsbedrohten Krankenhauses Moabit ist die Teilnahme an der Love Parade deshalb nicht nur Spaß, sondern auch Ausdruck des eigenen Anliegens. Von einem als Krankenwagen ausgeschmückten Lkw herunter macht die Klinik am 10. Juli nicht nur Techno mit den „Cyberdocs“, sondern auch auf die eigene Situation aufmerksam. Der Ärzte-Wagen ist einer von 50, die das dezibelgewichtige Rückgrat der Love Parade bilden.
Vom „Idealismus der Wagenprojekte“ schwärmte am Sonnabend Love-Parade-Organisator Ralf Regitz auf einem sicherheitstechnischen Vorabgespräch der veranstaltenden planetcom. Auf der Love Parade 1999 soll nicht nur die Musik der Schlüssel sein, sondern auch effizientere Regularien. Etwa für das Kernstück der Parade, die Bühnen-Lkws. Bevor deren Zündschlüssel den Techno zum Rollen bringen, stehen die Kriterien für Techno und Technik. Die Masse der 200 Wagen, die sich angemeldet haben, ist so inzwischen auf 50 Rave-Vehikel zusammengeschmolzen. „Moderieren“ nennt Organisator Regitz die gestrenge Auswahl der zugelassenen Wagen. Und die fehlende Ironie fällt kaum auf, wenn er nachlegt: „Wir wollen das ganze nicht so aufblähen.“
Die meisten Wagenprojekte seien bereits an der Finanzierung gescheitert. Denn für die „zentrale Organisation und das Bereitstellen der Infrastruktur“ zahlen die Wagenbetreiber nicht nur rund 1.500 Mark an die planetcom. Die technomäßige Aufrüstung der gemieteten Tieflader selbst kostet zwischen 30.000 und 50.000 Mark.
Doch seien einige Wagen laut Regitz auch „wegen Sicherheitsmängeln durchgefallen“. Denn erstmals haben die Organisatoren einen verbindlichen Richtlinienkatalog für die rollenden Raverbühnen erarbeitet: Versicherungen in Millionenhöhe sind abgeschlossen worden, und die technischen Aufbauten der Lkws „entsprechen nun den gesetzlichen Bestimmungen, bis hin zum hintersten Geländer“, so Angelo Plate. Die Sicherheitsmaßnahmen seien, so der technische Leiter der planetcom weiter, „aus eigener Verantwortung heraus“ erarbeitet worden und „nicht aufgrund behördlichen Drucks“, dem man auf diese Weise zuvorkommt.
Der Goodwill zahlt sich aus, die umstrittene Paradestrecke durch den Tiergarten bleibt auch in diesem Jahr dieselbe und soll sogar mehr Platzfreiheit anbieten. Denn nach der Beendigung der Bauarbeiten auf der Tiergarten-Magistrale dürfen die Lkw – behördlicherseits – nun auch breiter sein als im Vorjahr: insgesamt volle drei Meter nämlich, und das wird ausgenutzt. Denn: Klotzen statt kleckern, heißt auch die Devise der Spediteure. Die stellen für die Love Parade fabrikneue High-Tech-Fahrzeuge bereit, sagt planetcom-Mitarbeiterin Dominique Mayer: „Die alten Brummis verschwinden“ ebenso wie kleine Pritschenwagen. „Size matters“ – von 18 bis 24 Meter langen Tiefladern werden die Vortänzer auf die Massen am Wegesrand herabblikken. Und auch schneller vorbeifahren: Das ravende Fußvolk steht Spalier, während in der dreispurigen Gegenrichtung die schwere Techno-Artillerie rollt. „Liegengebliebene Lkws können überholt werden, ohne Staus zu bilden“, so Mayer. Vorausgesetzt, die euphorisierte Liebesnation hält sich auch an die Verkehrsregelung, durch die Gedränge und Stau in diesem Jahr vermieden werden soll. Gestartet wird deshalb auch an zwei Startpunkten gleichzeitig. Vom Ernst-Reuter-Platz und vom Brandenburger Tor aus setzen sich die Lkw-Züge gleichzeitig über die Straße des 17. Juni in Bewegung. Mit dabei ist dann auch das rollende Hospital aus Moabit. Und die „Crazy Techno Nurses“ schwingen darauf nicht nur die Hüften, sondern sind für alle Eventualitäten gerüstet: Notfallkoffer und Infusionen sind mit an Bord. Christoph Rasch
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