„Statusmeldungen“ von Stefanie Sargnagel: Marschieren fürs Goldene Matriarchat
Sie ist das antiautoritäre Role-Model: anarchisch, fröhlich, frei. In ihrem neuen Buch nimmt Stefanie Sargnagel ihren Alltag angenehm wichtig.
Im Klappentext von Laurie Pennys Buch „Unsagbare Dinge“ heißt es über die Autorin: „Laurie Penny wurde 1986 in London geboren und wuchs im Internet auf.“ Ebendas lässt sich auch über Stefanie Sargnagel sagen. Auch sie ist im Internet aufgewachsen, und auch sie wurde 1986 geboren. Das führt unter anderem dazu, dass sich Sargnagel ein Fax so vorstellt: „Man schickt eine E-Mail und klatscht dabei zweimal in die Hände.“ Das vermeldet sie jedenfalls in ihrer Statusmeldung vom 13. Oktober 2015. Seit Langem flutet die Autorin die vermeintlich virtuelle Welt mit ihren Kurznachrichten.
Was in der Vergangenheit in übersichtlicher Form in sympathischen Kleinverlagen erschienen ist, findet jetzt ausgiebig Platz in einem hinreißend schön (himmlisch blau und ungeheuer leinen) aufgemachten Band im Rowohlt Verlag. Sargnagel beginnt im Juli 2015 und endet im Februar dieses Jahres, kurz bevor sie in die Fänge der Kronen Zeitung geriet und das so genannte Babykatzengate auslöste (bitte selbst googeln).
In ihren Statusmeldungen gebärdet sich Stefanie Sargnagel, die eigentlich Sprengnagel heißt, als personifiziertes „Das macht frau nicht!“. Guter Geschmack und Benimmregeln scheren sie kein bisschen. Vielmehr scheint sie genau die Sorte Mensch zu sein, die Kinderläden und Fernsehsendungen wie „Rappelkiste“ sich einst erziehen wollten: anarchisch, fröhlich, frei.
Einmal mehr outet sich die bekennende Entenfütterin als mutwillig unanständig und forciert unartig: Ihr neues Buch widmet Sargnagel der Burschenschaft „Hysteria“, einem Feministinnen-Bündnis, dessen Mitgliederinnen für das „Goldene Matriarchat“ marschieren. Sargnagel kokettiert mit ihren Prolo-Attitüden und verkauft sich urlustig als angry young woman. Zu Anfang arbeitet sie noch wie gewohnt im Callcenter, wo sie als Stefanie Fröhlich den Hörer abhebt und die bizarrsten Dialoge führt. Leider kündigt sie ziemlich zu Beginn ihren Job, was auch dramaturgisch schade und bedenklich ist, strukturieren diese Einschübe die Nachrichten aus dem Sargnagel-Universum doch immer bestens und sorgen darüber hinaus für Abwechslung.
Wie vor ihr nur Männer
Bevor es so weit kommen muss, schleppt die Autorin aber erst einmal Flüchtlinge von Ungarn nach Wien. Dabei schaut sie den Tatsächlichkeiten des Lebens unerschrocken ins dreckige Maul: „Flüchtlingsmenschenmengen und Bierzeltfeste sind auch die einzigen Situationen, die konservative Männer darüber klagen lassen, dass zu wenige Frauen vertreten sind.“ Treffer.
Sargnagel wälzt große Probleme, verliert sich in Kleinigkeiten und labert einfach drauflos. Egal, ob über das Elend der Welt, parfümierte Damenbinden oder Lesereisen. Sargnagel nimmt sich das Recht, sich groß rauszubringen, indem sie den eigenen Alltag in den Mittelpunkt der Welt dreht. Das ist größenwahnsinnig, das ist eitel und das trauten sich früher nur Männer wie Rainald Goetz. Dabei weiß sie genau, was sie tut: „Ich bekomme mittlerweile Geld für dieselben Sachen, für die ich in der Schulzeit Klassenbucheintragungen bekommen habe.“
Ihren Auftritt beim Wettlesen des Ingeborg-Bachmann-Preises in Klagenfurt, wo sie 2016 den Publikumspreis gewann, vermeldet sie ebenso, leider auf recht fade Art, wie den Lebensmittelladen bei ihr um die Ecke, der seinen Geist aufgibt. An guten Tagen setzt sie bis zu neun Meldungen ab, manchmal keine. Immer wieder kommt auch ihr Sidekick Martin Witzmann zu Gehör. Gemeinsam sind sie im Auftrag einer Wochenzeitung 2016 nach Bayreuth aufgebrochen, um anschließend mehr übers Essen als über Wagner zu lästern, sehr zur Verärgerung manch eines Lesers.
Einzelne Briefe und Abokündigungsschreiben zitiert Sargnagel in ihrem neuen Buch genüsslich. Eine weitere Zugabe bilden kleine Bilder, in denen Sargnagel ihrem Wortwitz hinterherzeichnet. Da verleiben sich etwa zwei Mädels unter der Überschrift „Alles Liebe zum Frauentag“ kleine Penisscheiben ein und eine von ihnen spricht „feini“ in die Blase.
Sargnagel studierte an der Akademie der bildenden Künste in Wien Malerei. Im Klappentext zu ihrem neuen Buch sagt sie: „Immer wenn mein Professor Daniel Richter auf Kunststudentenpartys auftaucht, verhalten sich plötzlich alle so, als würde Gott zu seinen Jüngern sprechen. Ich weiß nie, wie ich damit umgehen soll, weil ich ja Gott bin.“
Stefanie Sargnagel: „Statusmeldungen“. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2017, 302 Seiten, 19,95 Euro
Für die, die Stefanie Sargnagel nicht kennen, sollte man vielleicht hinzufügen, dass alles, was sie sagt und schreibt, in herrlichem Wienerisch gehalten ist. Da kackt man nicht, sondern gackt, scheißt sich auf jeden Fall nichts. Für alle, die nicht wissen, was was heißt oder wer wer ist, gibt’s obendrauf am Ende des Buches ein Glossar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten