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Statt weitere neue Begriffe zu erfinden, sollte die CDU die chronische Unterfinanzierung der Parteien thematisierenKlartext statt Neusprech

In Deutschand ist jede Versicherung kampagnefähiger als die politischen Parteien

Die CDU ist noch in der finstersten Krise unschlagbar. Dann erfindet sie Begriffe, hinter denen die Wirklichkeit verschwindet wie hinter einer überlebensgroßen Helmut-Kohl-Plakatwand. So ein Begriff ist „Schatzmeisterei“. Wolfgang Schäuble hat ihn ersonnen. Der Duden kennt ihn nicht, und auch der CDU war die „Schatzmeisterei“ bis dahin unbekannt. Das Wort klingt nach einem gediegenen mittelalterlichen Gewerk. Man sieht eifrige Gesellen Geld in Waschkörben hereintragen, vor sich hin zählen und unter fröhlichem Hallo kunstfertig in Fächer und Päckchen verteilen.

Nun, so ähnlich muß es ja auch gelaufen sein. Nur: Anders als eine Fleischhauerei und ähnlich wie eine Leimsiederei hat es eine Schatzmeisterei eigentlich nie gegeben – stattdessen eine Reihe von Schatzmeisterinnen und Schatzmeistern. Eine Straßenumfrage würde wohl ergeben, dass Walter „Leislerei“ Kiep bis in unsere Tage Schatzmeister der Union ist. Die Baumeister, Wissmann & Co., sind nämlich still in diesen Tagen, und das ist auch wieder nachvollziehbar. Denn in der CDU waren sie einerseits nur für Einnahmen verantwortlich, andererseits gab es da die Kanzlei Weyrauch – eine Art Anderschatzmeisterei, die den wo auch immer aufgetriebenen Bimbes durch den Kontenfleischwolf drehte, bis er saumagenfein auf den Tisch der einen oder anderen Parteigliederung kam.

Den anonymisierenden Begriff „Schatzmeisterei“ haben Legionen von Journalisten brav in ihre Blöcke und Tastaturen übernommen. Weil aber wohl hie und da die Frage nach dem jeweiligen Meister im Laden aufkam, erfand Wolfgang Schäuble rasch einen neuen, noch viel lustigeren Begriff: Diese und jene Gelder seien ordnungsgemäß ins „Rechenwerk“ der Partei gelangt. Man sieht es wiederum vor sich, das altmodische, aber gleichwohl seelenlos relaisgesteuert ratternde Rechenwerk, das die hereinflatternden Scheine mechanisch-willenlos verteilt, nicht nach dem „Woher“ oder „Wohin“ fragend, weder Mangel noch Überfluß registrierend.

Legenden über Legenden: Helmut Kohl raunzt den von ihm ins ZDF-Studio geladenen Redakteuren Bresser und Bellut zu, man habe Gelder an Betriebsgruppen der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft CDA in Sachsen-Anhalt geschickt, die Anfang der 90er Jahre mit dem Rücken zur Wand kämpften. Nun, auch das leuchtet ein: Wo sonst ist die Zonen-Rotfront noch heute so ungebrochen wie in Sachsen-Anhalt, Lenin’s own country ? Das Dumme nur: In der fraglichen Zeit regierte in Sachsen-Anhalt eigentlich die auch und vor allem von Arbeitern gewählte CDU, in einer christlich-Genscher, Genscher!-liberalen Koalition, und die Vermögenslage der CDU in den Ex-Bezirken Magdeburg und Halle dürfte kaum schlechter gewesen sein, als die von SPD und DGB. Betriebsgruppen der leider schwindsüchtigen CDA? Ein ähnlich virtuelles Projekt wie die kanzlersche-kohlsche Schatzmeisterei. Immerhin: Die SED verfügte über Betriebskampfgruppen, dieser Begriff ist also nicht frei erfunden.

Da ist ferner das Wort vom „dienen“. Er habe seiner Partei nur dienen wollen, mit dieser Generalklausel verabschiedete sich der Ehrenvorsitzende aus dem ehrenvollen Teil ihrer Geschichte. Auch Giulio Andreotti könnte sich so exkulpiert haben. Dessen Konten und dessen Klientelismus dienten schon deswegen der italienischen CDU-Schwester DC, weil er es stets verstand, sich selbst als personifizierte Partei erscheinen zu lassen. Den Vergleich mit dem Korruptionssumpf der DC weist jeder Christdemokrat in Amt und Würden freilich umgehend zurück – angesichts des Endes dieser Partei kein Wunder.

Helmut Kohl wollte seiner Partei dienen. Das mag sein. Das larmoyante Bekenntnis erinnerte dennoch eher an einen Karrieristen, der auf einer Feierstunde der Firma bekennt: Alles, was aus mir geworden ist, verdanke ich nur meiner Frau. Leider hatte Kohl auf jener denkwürdigen Pressekonferenz keine Blumen für seinen Partner Schäuble dabei. Kohl habe seine Partei immer wie eine Familie betrachtet, warfen wohlgesonnene Kommentatoren eilends ein. Die lustigste rot-grüne Reaktion in der Affäre war bislang übrigens, dass Ministerin Bergmann tags darauf ihren Aktionsplan gegen Gewalt in der Familie vorstellte. Die Familie CDU ist zerrüttet, auch wenn Streberenkel Roland Koch dem Opa weiter Gedichte aufsagt. Ost-Cousine Angela Merkel rettet derweil das Familiensilber.

Kanzler kommen und gehen. Ihre Parteien bleiben. Die CDU weiß das und vertraut ihr kleines, aber wertvolles ideologisches Schatzkästlein deshalb einem Seelenbeauftragten an, dem Generalsekretär. Kurt Biedenkopf hielt die CSU in Schach, deklinierte die Freiheit durch alle Fälle und machte aus Helmut Kohl eine bundesweite Marke; Heiner Geißler kann nachts um 3 Uhr geweckt alle Sozial-Enzykliken rezitieren und wurde so der Lordsiegelbewahrer der Gerechtigkeitspartei CDU zu Zeiten des Kalten Kriegs wie zu denen der Globalisierung; Volker Rühe schnürte den röchelnden Blockflöten lächelnd die Luft ab und machte mit Vaatz & Co. die CDU zu einer gesamtdeutsch gültigen postmuralen Freiheitspartei.

Einmal Generalsekretär, immer Generalsekretär. Sie überleben ihren Kanzler. In ihrer Amtszeit - und danach - haben sie vor allem den Ewigkeitscharakter der Partei im Sinn und vertreten bisweilen für Freund und Feind verwirrende Positionen. Wenn sich solche Politiker allerdings auf die Seite der Macht verirren, geraten sie in Gefahr, deren Opfer zu werden. Dass die SPD auf ihrem Berliner Parteitag das Amt des Generalsekretärs mit einem Vierteljahrhundert Verspätung einführt, kann die CDU übrigens bei allem Schlamassel mit einem zufriedenen Lächeln quittieren. Der Generalsekretär verleiht der Partei einen Kopf, wenn der des Vorsitzenden auf dem Regierungsapparat sitzt, und im Ernstfall verleiht er ihr ein kontinuierliches Leben über den politischen Tod des eigentlichen Vorsitzenden hinaus.

Die CDU braucht einen Maestro mit absolutem Gehör im tagespolitischen Getöse

Heiner Geißler schlüpfte so wieder einmal in die Rolle des Pflichtverteidigers der Parteiehre. Das ewige Brutus-Image kann er verschmerzen. Volker Rühe ist Wahlkämpfer und darf sich daher erinnern, woran er mag. Peter Hintze darf Beiträge nachzahlen und Kurt Biedenkopf, der zweifellos als einziger über die kaufmännische Intelligenz verfügt, ein Anderkontensystem zu kreieren, verfügt andererseits über die Gnade der frühen Amtszeit und schweigt auf eine im übrigen recht noble Weise. Angela Merkel aber relauncht das Amt. Das verschafft ihr Ärger, erspart der CDU aber vielleicht die Auflösung. Der gemeine CDU-Ortsschatzmeister mag noch in Helmut-Helmut-Träumen schwelgen: Spätestens wenn die Parteispitze per ordre di Thierse den Erlös des jährlichen Skibasars pfändet, werden die Aktien des Generalsekretariats – das ist meine Wortschöpfung – steigen.

Vielleicht besinnt sich die CDU auf das, was ihre Stärke Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre ausmachte. Damals wurden noch keine Helmut-Helmut-Choräle gesungen. Damals war die CDU ein vielstimmiges und gleichwohl feinabgestimmtes Orchester. Dabei standen freilich Generalsekretäre am Pult, die die Partitur auswendig konnten, und deshalb Solisten, Instrumentengruppen und Gesamtklang beherrschten. Die CDU braucht dringend einen ideologischen Maestro mit absolutem Gehör im tagespolitischen Getöse. Sonst steht bald ein weiß-blaues Kammerensemble auf dem bundesweiten Spielplan. Das ließe sich auch vom landespolitischen Pianoforte aus dirigieren.

Aber nun ernsthaft: Die Parteien in Deutschland sind chronisch unterfinanziert. Mitgliederschulung, Öffentlichkeitsarbeit, ordentliche Werbekampagnen – alles geht vor die Hunde. Jede Versicherung, jede Bank, jeder Telefonkonzern ist kampagnefähiger. Darf man sich da wundern, dass Parteistrategen in die Hände von Neo-Hugenbergs geraten? Es gab Zeiten, da Parteien meinungsbildende Zeitungen herausgaben. Das muß ja vielleicht nicht sein. Aber auch nur einen Think-Tank zu pflegen, ein Hearing zu veranstalten, eine seriöse Vierteljahresschrift zu publizieren, ist für deutsche Parteien ein Ding der Unmöglichkeit, während standortgeplagte Unternehmen innenstädteverschandelnde Sanssoucis in die Höhe ziehen. Da liegt der eigentliche Skandal: Der scheinbar allmächtige Vorsitzende einer scheinbar allmächtigen Regierungspartei glaubt, seinen Auftrag im Pluralismus nur mit Hilfe doppelbödiger oder krimineller Finanzierungsmechanismen erfüllen zu können. Markus Schubert

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