■ Statt nüchtern zu berichten, denunzieren die Medien im Lübecker Brandprozeß Verteidigung und Angeklagten: Der antilinke Konsens
Belastungszeugen hartnäckig in die Zange zu nehmen, eigene Beweisanträge und Gutachter zu präsentieren, Fährten aufzunehmen, die zu anderen Tatverdächtigen führen – all das gehört gemeinhin zum Handwerk einer aktiven Verteidigung. Advokaten, die – per Rollenzuweisung hoch parteiisch – akribisch alle Möglichkeiten der Strafprozeßordnung ausnutzen, gelten in der Regel auch in den Medien als patente Verteidiger. Anders im Lübecker Brandprozeß gegen den Libanesen Safwan Eid. Hier hat das Gros der Medien das Anwältinnen-Duo Barbara Klawitter und Gabriele Heinecke auf die Anklagebank gesetzt.
Und dies nicht etwa, weil beide es an Engagement für ihren Mandanten mangeln ließen. Im Gegenteil: Die beiden Anwältinnen sind den Prozeßbeobachtern von taz bis FAZ, von Stern bis Spiegel zu aktiv. „Vom Eifer einer Advokatin“, titelte Die Zeit kürzlich über Heinecke und verstand diese Schlagzeile nicht als Lob, sondern als barsche Kritik. Die linken Verteidigerinnen, so der Vorwurf, würden das Verfahren in enger Zusammenarbeit mit „linksradikalen Unterstützergruppen“ „politisieren“ und „instrumentalisieren“. Beiden gehe es allein darum, „einen Kampf“ gegen die deutsche Flüchtlingspolitik auszufechten, der „nicht in den Gerichtsaal gehört“ (Spiegel).
Dagegen setzt die versammelte Journaille eine strikte Trennung von Politik und Justiz. Wer den Prozeß in einem politischen Koordinatensystem verortet, kann sich der eilfertigen medialen Gegenwehr gewiß sein, die selten argumentativ, häufig denunziatorisch und stets zu Lasten der Verteidigung und ihres Mandanten daherkommt. So läßt taz-Redakteur Jan Feddersen Gabriele Heinecke ins Mikrophon „bellen“, um mit ihrer „fast inquisitorischen Frageweise“ die Zeugen, die Safwan Eid „belasten könnten, herabzuwürdigen und brisante Aussagen zu Bagatellen zu erklären“. Hinter der Kritik an den öffentlichen Auftritten der Verteidigerinnen im linken Milieu und ihrer als zu „harsch“ empfundenen Zeugenbefragung verschwindet weitgehend die Berichterstattung über die Beweisaufnahme des Verfahrens, die Frage nach Schuld oder Unschuld. Und nach möglichen anderen Tätern.
So wird jeder Verdacht gegen die vier Grevesmühlener Jugendlichen inzwischen nur noch als „Verschwörungstheorie“ (Süddeutsche Zeitung) der Verteidigung wahrgenommen. Obwohl der Zeitpunkt des Brands bislang nur grob eingegrenzt werden konnte, obwohl die rechtsorientierten Jugendlichen in unmittelbarer Nähe des Tatortes gesehen wurden, lange bevor Polizei und Feuerwehr eintrafen, obwohl die Widersprüche in ihren Aussagen nie aufgeklärt wurden, sprach auch die taz Ende November die Jugendlichen frei: „Tatsächlich ließ sich die Grevesmühlener Spur nicht erhärten – im Gegenteil: Die Alibis der vier Männer wurden bestätigt.“
Dem Angeklagten wird eine derart wohlwollende Interpretation selten zuteil. Auch wenn bislang außer der Aussage eines Sanitäters, der von Safwan Eid die Worte „Wir war'n 's“ gehört haben will, nichts substantiell Belastendes gegen den Angeklagten zutage gefördert wurde, konstatiert ein Teil der Medien eine „Prozeßwende“. Für die Kieler Nachrichten etwa steht nach summarischer Prüfung der bisherigen Beweisaufnahme fest: „Der Tatverdacht gegen Safwan E. ist härter denn je.“ Andere Journalisten, wie auch Jan Feddersen in der taz, räumen zwar ein, daß es im Verfahren gegen Safwan Eid nichts gäbe, „worauf sich ein Schuldspruch gründen könnte“ – streuen jedoch im selben Atemzug auf Grundlage dürrer Fakten Zweifel an der Unschuld des Angeklagten.
Und wo Indizien für die Täterschaft des Libanesen fehlen, übt sich Jan Feddersen gar in der konsequenten Umkehr der Beweislast. Aus ergebnisarmen Zeugenvernehmungen schließt er messerscharf, der Verteidigung sei es „bislang nicht gelungen, ihren Mandanten wesentlich zu entlasten“. Nun müsse sich zeigen, „ob der Alltag im Flüchtlingsheim wirklich so konfliktfrei ablief, daß eine Täterschaft Safwan Eids ausgeschlossen werden kann“. Nicht die Anklage muß die Schuld, sondern die Verteidigung die Unschuld des Verdächtigen beweisen. Entsprechend gelten die Zeugen, die Safwan Eid eher entlasten als beschuldigen (wie die meisten ehemaligen Bewohner des abgebrannten Flüchtlingsheimes), als unglaubwürdig. Sie tauchen in fast allen Medien nur noch als unmündige Statisten auf, die sich von linksradikalen Anti-Nationalisten nach Belieben manipulieren lassen. Daß diese Flüchtlinge sich wiederholt dagegen verwahrt haben, als nützliche Idioten der Unterstützerszene zu gelten, darüber aber schweigt die deutsche Presse.
Mit dieser Berichterstattung liefern die Medien Nahrung genau für die Politthesen, die sie so vehement als „Verschwörungstheorien“ bekämpfen: daß Opfer zu Tätern gemacht werden sollen, daß „Rassismus“ im Spiel und ein „nationaler Konsens“ vorhanden sei, der es lieber sähe, daß ausländische Flüchtlinge und nicht deutsche Rechtsradikale gezündelt hätten. Wo Nüchternheit gefragt wäre, mischt eine zunehmend parteiische Presse bei der Polarisierung des Verfahrens kräftig mit. Wie leicht diese Strategie sich selbst ad absurdum führt, zeigt die von der Kieler Kriminologin Monika Frommel Ende November in der taz formulierte Behauptung, Gericht und Staatsanwaltschaft, hätten das Verfahren „wohl gerne eingestellt“, mußten dann aber „nach den schweren Beschuldigungen seitens der Verteidigung öffentlich demonstrieren, daß sie sachliche Gründe hatten, den Erkenntnissen“ gegen Safwan Eid nachzugehen.
Diese Spitze gegen die Anwältinnen entpuppt sich bei genauer Betrachtung als schwerer Vorwurf gegen die Organe der Rechtspflege. Stimmt die Behauptung der Kriminologin, haben Gericht und Staatsanwaltschaft politische und juristische Erwägungen in einer Form miteinander vermischt, die im Klartext bedeutet: schwere Rechtsbeugung. Auch wenn das Gericht – und alles spricht dafür – Safwan Eid freisprechen wird: Der von der Presse genährte Zweifel an Eids Unschuld, an der Glaubwürdigkeit der Flüchtlingsheim-Bewohner und der Redlichkeit der Anwältinnen wird Früchte tragen. Er dürfte es der Staatsanwaltschaft erleichtern, die Ermittlungen danach nicht wiederaufzunehmen, die Widersprüche in den Aussagen der Grevesmühlener Jugendlichen nicht aufzuklären und nicht nach anderen möglichen Verdächtigen zu suchen. Ein mehr als zweifelhaftes Verdienst der „vierten“ Gewalt. Marco Carini/Elke Spanner
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen