: Station für Nomaden
Beim „Festival of Exiles“ im Tacheles treffen sich Veteranen und Neuerer der experimentellen Musik ■ Von Andreas Hartmann
Experimentelle Musiker leben immer und überall im Exil. Denn es geht ihnen ja gerade darum, so etwas wie ein Zuhause nicht anerkennen zu wollen. Zu Hause und Avantgarde läßt sich nicht vereinen. Die Suche nach ständig neuen musikalischen Ausdrucksmitteln führt zu ständigem Reisen, zum Austausch mit Gleichgesinnten in einer global vernetzten Szene und dazu, überall anzudocken, ohne endgültig ankommen zu wollen.
Berlin feiert im Tacheles nun seine Anziehungskraft als wichtige Station vieler musikalischer Nomaden aus der internationalen Experimentalszene und läßt 25 bekannte und weniger bekannte Klangperformer, Tubaspieler, Percussionists und Sampler-Bediener drei Tage in verschiedensten Konstellationen spielen. Es werden Solisten auftreten, eingespielte Duos und Trios, es sollen sich aber auch spontane Zusammenschlüsse zur freien Improvisation bilden – schließlich werden sich viele Freunde und Mitstreiter aus gemeinsamen Berliner Tagen wiedersehen.
Alle beteiligten Musiker eint, daß sich ihnen in Berlin irgendwann in ihrem Leben ein kreatives Arbeitsfeld dargeboten hatte. Die New Yorker Komponistin und Sängerin Shelley Hirsch beispielsweise lebte hier während eines DAAD-Stipendiums, und der Schlagzeuger und Percussionist Jason Kahn, der bereits Ende der Achtziger in der Fake-Jazzband The Universal Congress of dabei war, ist seit einem längeren Zeitraum Teil einer jungen kreativen Off-Szene in Berlin. Es wird somit bei dem Festival um Erinnerungen gehen, darum, hier und anderswo Erarbeitetes zu reproduzieren, und natürlich um Ausblicke.
Ein derartiges Festival, in dem die unterschiedlichsten Strömungen zusammenkommen, lenkt den Blick natürlich auch auf das Berlin der neuen Mitte und den derzeitigen Zustand der hiesigen Szene und deren Strukturen. Und der ist nicht gerade rosig. In den musikalischen Bereichen, die sich weder klar als Jazz noch als Neue Musik, noch Pop, noch Elektronik definieren, ist nach einer blühenden Phase in den letzten Jahren ernüchternde Stagnation eingetreten. Berlin hatte einen der tollsten Off-Off-Clubs, den „Anorak“, der das Ideal der nicht subventionierten unabhängigen Spielstätte verwirklichte.
Den Violinisten und Musiktheoretiker Jon Rose, der ebenfalls im Rahmen des Festivals auftreten wird, konnte man hier für ein paar Mark sehen, hier wurden Pläne geschmiedet, hier wurde die eigene Arbeit einem kleinen interessierten Kreis präsentiert. Doch in dem ehemals besetzten Haus geht schon längst nichts mehr. Der frühere Hauptorganisator Volker Schneemann jobbt inzwischen in einem Copy-Shop und sucht seit längerem vergeblich nach einer neuen Location. Orte, an denen aufregende Dinge in Sachen experimenteller Musik stattfinden, sind rar geworden.
Das Podewil bemüht sich stark um ein undogmatisches Lavieren zwischen E- und U-Musik, auch im Sinne einer endgültigen Auflösung dieser längst nichtssagend gewordenen Begrifflichkeiten. Aber ein subventionierter Kulturbetrieb kann eben niemals die Funktion eines autonom strukturierten, mit Herzblut betriebenen Off-Ladens besitzen.
Da wird auch der nostalgische Blick nach New York nichts helfen, wenn – wie in einem Bericht der Zitty zu lesen war – in Berlin eine Dependance der legendären Knitting Factory entsteht. Der Mythos der Factory, in der sich die Großen der Avantgarde gegenseitig zum Ständchen einladen, soll den Club für Neutöner zum Selbstläufer werden lassen. Der Zitty-Bericht legt nahe, daß in Berlin mehr Bedarf nach einem Hardrock-Café für Avantgardisten besteht als nach Projekten wie dem „Anorak“.
Das Festival will nicht den Sound einer Stadt transparent machen, sondern versuchen, der Stadt musikalische Globalisierungseffekte vorzuführen und ihre Position in diesem kreativen Austauschprogramm zu unterstreichen. Die Stadt als Station, die ihre zukünftige Relevanz für Musiker aus dem Bereich der experimentellen Musik selbst in der Hand hat.
„Festival Of Exiles“ im Tacheles, von 10. bis 12. Juni, jeweils ab 21 Uhr
Ein derartiges Festival lenkt den Blick auf den Zustand der hiesigen Szene. Der ist nicht gerade rosig
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen