Start der Basketball-EM: Vor dem letzten großen Wurf
Bei der EM muss Dirk Nowitzki immer noch die größte Verantwortung im deutschen Team schultern. Andere Spieler sind noch nicht so weit.
Rückblende. Peking, Sommer 2008. Bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele ragt die deutsche Fahne höher gen Himmel als die der anderen Nationen. Getragen wird sie von Dirk Nowitzki, 2,13 Meter groß.
Der Basketball-Superstar ist damals im Alter von 30 Jahren auf dem Zenit seiner Karriere, auch wenn er erst drei Jahre später die NBA-Meisterschaft mit den Dallas Mavericks gewinnen wird. Die deutsche Equipe anzuführen, war einer der größten Momente für Nowitzki, der längst selbst einer der größten deutschen Sportler aller Zeiten ist. Und Nowitzkis Traum ist es, noch einmal bei den Olympischen Spielen dabei zu sein, 2016 in Rio de Janeiro.
Der Weg dorthin wird jedoch extrem beschwerlich sein, und der inzwischen 37-jährige Superstar der deutschen Basketball-Nationalmannschaft wird ihn nicht allein bewältigen können. Er, der im deutschen Team die Verantwortung bei den internationalen Wettbewerben im vergangenen Jahrzehnt immer auf seine breiten Schultern geladen hat, befindet sich im Herbst seiner Karriere.
Wenn Deutschland am Samstag um 15 Uhr zum Vorrunden-Start der Europameisterschaft auf Island trifft, wird dennoch vieles vom Vermögen des Power Forwards abhängen. Bei der EM sichern sich nur die Finalisten ein direktes Ticket für die Sommerspiele. Die Teams auf den Plätzen drei bis sieben sind für die Ausscheidungsturniere qualifiziert, die Anfang Juli 2016 geplant sind.
Vier Schwergewichte in der Gruppenphase
Für die deutsche Nationalmannschaft um Trainer Chris Fleming geht es aber zunächst darum, überhaupt die Vorrunde zu überstehen. Nach dem eingeplanten Pflichtsieg über Island (Samstag, 15 Uhr, ZDF) geht es danach gegen Serbien, die Türkei, Italien und Spanien – allesamt Schwergewichte in Basketball-Europa. Sollten Nowitzki & Co. das Achtelfinale erreichen, droht mit dem amtierenden Europameister Frankreich eine besondere Herausforderung.
Gegen die Star-Truppe um NBA-Star Tony Parker konnten sich die Deutschen am vergangenen Wochenende zweimal testen, und nach der Leistung im ersten Spiel war der zuvor herrschende Optimismus im schwarz-rot-goldenen Lager schnell verflogen: Nach einem 0:31-Lauf lag Deutschland zur Pause mit 19:50 zurück, am Ende hieß es 52:76. Die knappe 63:68 zwei Tage später in Köln gegen den gleichen Gegner stimmte versöhnlich, doch da saß Spielmacher Parker über 30 Minuten auf der Bank.
Vergabe: Im Dezember 2011 erhielt die Ukraine den EM-Zuschlag. Aufgrund der instabilen politischen Verhältnisse dort revidierte der Weltverband (Fiba) jedoch seine Entscheidung und vergab das Turnier an Deutschland (Berlin), Frankreich (Montpellier), Kroatien (Zagreb) und Lettland (Riga). Die Finalrunde findet in Frankreich (Lille) statt.
Modus: Gespielt wird vom 5. bis zum 20. September in vier Gruppen mit jeweils sechs Teams. Die besten vier pro Gruppe kommen in die Finalrunde (K.-o.-System).
Fernsehen: ARD und ZDF zeigen die deutschen Vorrundenspiele. Sollte das Team weiterkommen, werden weitere Übertragungen kurzfristig geklärt.
Nowitzki gelangen im ersten Spiel nur sechs, im zweiten zehn Punkte. Bei der EM wird das zu wenig sein, um Top-Teams wie Serbien oder Spanien gefährlich werden zu können. Bundestrainer Fleming bleibt jedoch optimistisch: „Dirk macht von Training zu Training Fortschritte. Am Sonntag gegen Frankreich war er viel aggressiver als in den Spielen zuvor. Ich habe keine Zweifel, dass er uns bei der EM das geben wird, was wir von ihm brauchen.“
Kritik gab es in der Vorbereitung am Spielsystem: Nowitzki brauche mehr Würfe, um dem Team zu helfen. Fleming schüttelt den Kopf: „Im letzten Spiel hat Dirk 15 Würfe genommen, das war vollkommen in Ordnung. Natürlich habe ich nichts dagegen, wenn der Ball noch öfter in seinen Händen ist, weil Dirk ein überragender Werfer ist. Man darf ihn aber nicht nur auf seine Wurfversuche reduzieren: Er wird immer eng gedeckt, und allein seine Präsenz auf dem Feld eröffnet den anderen größere Freiräume. Vor allem unsere schnellen Aufbauspieler wie Dennis Schröder und Maodo Lo profitieren davon, wenn Dirk auf dem Feld ist.“
Das Maximum abliefern
Schröder, bald 22 Jahre alt, schnell, aggressiv, über alle Maßen selbstbewusst, ist der neue Shootingstar der deutschen Nationalmannschaft. Er sei bereit, der neue Anführer des Teams zu werden, ließ der Spielmacher der Atlanta Hawks verlauten. „Das ist ein Prozess, der dauert. Dennis ist noch jung“, wiegelt Fleming ab. Der Bundestrainer hatte noch nie einen Point Guard wie ihn. Der gebürtige Braunschweiger wird bei der EM einer der schnellsten Spieler sein, und er versteht es zu scoren. In jedem Vorbereitungsspiel, an dem er teilgenommen hat, war er der beste Korbjäger des Teams.
Dennoch: Dirk Nowitzki bleibt – zumindest noch für dieses Turnier – der Spieler mit der größten Verantwortung. Er zieht nach wie vor die größte Aufmerksamkeit der gegnerischen Defensive auf sich, seine Fähigkeit, den entscheidenden Wurf zu treffen, ist gefürchtet. Steht das Spiel auf des Messers Schneide, muss der Ball aber nicht zwangsläufig zu Nowitzki, betont Bundestrainer Fleming: „Im modernen Basketball ist es sehr schwierig zu bestimmen, wer den letzten Wurf nehmen soll. Ich glaube, in den letzten Spielen haben wir gezeigt, wie wir in der Crunchtime spielen wollen – da haben auch Tibor Pleiß und Paul Zipser die letzten Würfe genommen. Der Gegner konzentriert sich dann sehr auf Dirk, aber wir haben auch andere, die das können – sie müssen nur bereit sein. Paul beispielsweise hat keine Angst, den letzten Wurf zu nehmen.“
Zipser, 21 Jahre alt, ist bislang die positive Überraschung der EM-Vorbereitung. Der Youngster vom FC Bayern München hat sich dank seiner Physis und Präsenz in die Startformation gespielt. Auch Pleiß, 2,18 Meter groß und ab nächster Saison in Diensten der Utah Jazz, spielt im Konzept von Chris Fleming eine wichtige Rolle.
Schröder, Zipser, Pleiß: Sie alle müssen ihr Maximum abliefern, damit das deutsche Team erfolgreich ist. Entscheidend aber wird sein, was Dirk Nowitzki noch auf höchstem europäischen Niveau zu leisten im Stande ist – damit es für ihn im nächsten Jahr vielleicht mit dem letzten großen Traum von den fünf Ringen klappt.
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