Stargast in Osnabrück: Kresniks Schatten

Osnabrück bestaunt den österreichischen Regisseur Johann Kresnik, der am Stadttheater ein Stück über den jüdischen Maler Felix Nussbaum inszenieren wird. Nussbaum wuchs in Osnabrück auf, 1944 wurde er in Auschwitz ermordet.

Johann Kresnik probt in Osnabrück. Bild: Uwe Lewandowski

In einer Stadt steigt die Spannung. Es ist eine mittelgroße Stadt am Rande des Teutoburger Waldes, von der bis vor einigen Jahren niemand kulturelle Glanzlichter erwartet hätte. Bis Intendant Holger Schultze das örtliche Theater übernahm und nun, kurz vor seinem Weggang nach Heidelberg, mit einer Überraschung aufwartet. Am Wochenende wird ganz Feuilleton-Deutschland auf sein Haus schauen, denn dann wird der österreichische Regisseur und Choreograf Johann Kresnik am Theater Osnabrück ein Stück über den Maler Felix Nussbaum inszenieren.

Nussbaums Museum in Osnabrück ist, vom Architektenstar Daniel Libeskind entworfen, fast berühmter als die Werke, die darin ausgestellt sind - obwohl, knapp zwei Millionen Mark sind schon für ein Nussbaum-Gemälde bezahlt worden. Als Jude wurde der Maler von den Nazis ins Exil nach Belgien getrieben und schließlich 1944 in Auschwitz ermordet. Sein Leben hat der Autor Christoph Klimke für Osnabrück, die Heimatstadt Nussbaums, als Schauspiel ausgearbeitet. Und Kresnik inszeniert. Theater-Fachmagazine und überregionale Presse warten fieberhaft auf einen Skandal oder zumindest auf eine großartige Inszenierung. Schließlich wird, so viel ist schon klar, ein Haufen nackter Menschen die Bühne bevölkern.

Statisten, die sich auf der Bühne ausziehen wollen, wurden gesucht und gefunden. "Ich kann mir nicht vorstellen, wie man sonst KZ in dem Sinne von Auschwitz zeigen soll", erklärt Kresnik die Nackten. "Ich mache es eigentlich sehr vorsichtig. Es wird gezeigt wie die Leute ins KZ gehen, wie sie enden und was daraus entstanden ist."

Felix Nussbaum wurde 1904 in Osnabrück geboren.

Vierzig Jahre später wurde er in Auschwitz umgebracht.

Seine Bilder waren lange Zeit in Vergessenheit geraten, bis 1997 ein Gemälde in einer Auktion für 1,7 Millionen Euro den Besitzer wechselte.

Ein eigenes Museum bekam Nussbaum im Jahr 1998: Daniel Libeskind entwarf es als Anbau an das Kulturgeschichtliche Museum der Stadt.

Das Gebäude gilt als eine Art kleiner Bruder des Jüdischen Museums in Berlin, dessen Entwurf ebenfalls von Libeskind stammt. Es zeigt in der typischen Manier des Architekten spitze Ecken und übertriebene Winkel, die dem Gebäude etwas Schiefes verleihen.

Der Österreicher nimmt der Debatte schon vorab den Schwung, indem er klarstellt, dass er nicht provozieren wird. Keine Perversionen! Darauf legt Kresnik wert. Dennoch müssen sich die Osnabrücker auf ein Theaterereignis gefasst machen, das kann man schon in den Proben erkennen.

Auf der Probebühne sind die Stellen gekennzeichnet, an denen später die Duschen stehen werden. Zunächst soll aus ihnen Wasser tröpfeln. Später wird Gas strömen. Kresniks ursprünglicher Plan, das ganze Bühnenbild zu Beginn des Stücks anzuzünden und dann eineinhalb Stunden abfackeln zu lassen, soll an Abluftproblemen gescheitert sein. Mit ausgebreiteten Armen steht er nun vor seinem Team und erklärt die Szene. "Alle kommen aus dem Zuschauerraum." Dann schnappt er sich Andrea Casabianchi, die Nussbaums Frau Felka spielt.

Er trägt sie über die Bühne, an zwei Tänzern vorbei, die gerade ihren Part einüben. Die Stimmung ist erstaunlich entspannt. "Ich brauche nur die Paare. Der Rest kann in die Kantine gehen, sich aufwärmen", scherzt der Meister. Und wenn Autor, Regieassistent oder ein Schauspieler glaubt, ein Problem entdeckt zu haben, kommt von Kresnik ein knappes: "Is eh wurscht". Damit ist die Diskussion beendet. Eine Frage ist noch offen. Wie fangen die Gemälde Nussbaums an zu brennen? Aber die Suche nach der Antwort wird vertagt. Heute werden die verschiedenen Szenen aneinander gereiht.

Deshalb kommt Steffen Gangloff herein. Er spielt einen KZ-Aufseher, der die Gefangenen für sich tanzen und singen lässt und nach dieser zynischen Revueeinlage eine der Protagonistinnen von hinten erschießt. Noch sind alle Darsteller angezogen. Das wird sich bei den Proben auf der Hauptbühne ändern. "Ich hab das noch nie gemacht", sagt die junge Schauspielerin Casabianchi. Sie habe sich über das Ausziehen vorher keine Gedanken gemacht. "Ich mach das einfach." Ansonsten ist sie froh, dabei zu sein. Und das ist das ganze Theater.

"Er hat alle am Haus verführt", schwärmt Intendant Schultze über den Gaststar. "Wir erwarten eine ästhetische Herausforderung", ergänzt er, und man spürt, wie sich der Chef über die mediale Aufmerksamkeit freut. In Osnabrück kann Kresniks Ästhetik zu einem Misserfolg führen - oder in begeistertem Jubel münden.

Dass der Regisseur in dieser Stadt einen Skandal entfachen wird wie vor Jahren in Bremen, als er nackte ältere Frauen an Nähmaschinen drapierte, ist allerdings eher unwahrscheinlich. Und wenn es keinen Skandal gibt? Eh wurscht! Denn dieser Theaterabend wird so oder so Großes bringen.

Nur einen großen Verlierer wird es auf jeden Fall geben. Am Abend vorher zeigt das Theater Osnabrück in seiner Nebenspielstätte die deutsche Erstaufführung von Roland Schimmelpfennigs "Hier und Jetzt". Doch dafür interessiert sich kaum jemand. Dafür ist Kresniks Schatten zu mächtig.

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