■ Standbild: Robinson in Rußland
„Onkel Tom im Sowjetreich“, Sonntag, WDR, 22.25 Uhr
Wundersam sind manches Menschen Wege. Man möchte den eigenen Augen und Ohren nicht trauen. Da sitzt ein alter schwarzer Mann in seinem Lehnstuhl, eine prächtige Hornbrille auf der Nase, wache Augen dahinter, und er berichtet aus seinem Leben. Vor dem Fenster das New York der 80er Jahre, die alltäglichen Bilder von Bettlern und Börsenmaklern. Diesen Weg ging Amerika. Rob Robinson ist einen anderen gegangen.
Die Geschichte eines Fremdlings, eines Weltenwanderers hat Jane Treays vom BBC aufgezeichnet. Zeitgenössische Bilder und Filmausschnitte sind zur Begleitung eingefügt. Kein Spektakel, keine Ausrufungszeichen. Der Werkzeugmacher Robinson wechselt 1930 seinen Arbeitsplatz von Detroit nach Stalingrad, zunächst für ein Jahr. Schließlich werden, nicht ganz freiwillig, 42 Jahre daraus.
Keine politische Überzeugung läßt ihn von Amerika nach Rußland gehen, kein heroischer Systemwechsel wird vollzogen. Schlecht waren die Zeiten in Detroit, besonders für Schwarze; das Angebot aus Stalingrad eben besser.
Im stalinschen Rußland erlebt er die beispiellosen Anstrengungen, die Produktivität des Westens zu erreichen. Da er Arbeiter ist, arbeitet er. Fremd bleibt ihm das Land. Freunde findet er nicht; doch auch nicht den gewöhnlichen US-Rassismus. In Moskau wird er Ausbilder in der ersten Kugellagerfabrik, wenig später von den Arbeitern in den Moskauer Stadtsowjet gewählt. Keine Reden schwingt er, kein Ideologe wird aus ihm, er wundert sich, sieht Stalin neben sich auf der Tribüne, staunt den kalten georgischen Bauern an. Während der „Säuberungen“ liegt er nachts angezogen im Bett, jederzeit seiner Verhaftung gegenwärtig. Er hat Glück. Er erlebt den Krieg mit, die Hungersnot eines riesigen Volkes. Was wir gern als spezifisch russische Lebenshaltung ansehen, erfährt Robinson am eigenen Leibe. Sein Ausreiseantrag, 1945 gestellt, bleibt unbearbeitet. Erst 1970 gelingt die Ausreise.
Krumme Wege nimmt das Leben. Die Kunst dabei ist, nicht allzu beleidigt zu sein. Robinson erzählt mit Leidenschaft und Humor. Wie seltsam auch, dies war sein Leben. Künstliche Menschen, immergleiche Geschichten bietet uns gewöhnlich das Fernsehen. Dieser Film, so unspektakulär wie ein Butterbrot, war eine Ausnahme. Olga O'Groschen
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