■ Standbild: Mit Willy auf du und du
„Talk im Turm“, Sonntag,
22 Uhr, Sat.1
Der Star zum Thema „Wer war Herbert Wehner wirklich?“, Frau Seebacher-Brandt, ließ sich entschuldigen. Aber auch ohne sie blieben noch genug Personen und Handlung, um eine Mega- Tonnen-Peinlichkeit aufzuhäufen. Neue Informationen, besonders zum Bundeskanzler-Königsmord in Bad Münstereifel im Mai 1974, hatten sicher die wenigsten erwartet. Wohl aber eine um Genauigkeit wenigstens bemühte Rekonstruktionsarbeit aus der Zeitzeugen-Perspektive.
Statt dessen wurden sie von Günter Gaus über den Zeitpunkt informiert, zu dem ihm Willy das Du anbot; und darüber, daß er sie beide geliebt hat – Brandt und Wehner. Das sollte uns, den interessierten Zeitgenossen, genug sein. Der um die Aufdeckung des Kirche-Stasi-Komplexes verdiente Historiker Bezier war unverschämt genug, die Bedeutung der Erlebnisse dieser bedeutenden Persönlichkeit Gaus zu relativieren, ja auf dem Recht der Historiker-Zunft zu beharren, auch mal durchs Schlüsselloch gucken zu dürfen. Er wurde mit jener Mischung aus selbstverliebter Sentimentalität, Demagogie und autoritärem Zurechtweisungsstil bedacht, der die TV-Auftritte von Günter Gaus seit ehedem kennzeichnet.
Erich Böhme tat außerdem sein Bestes, die Atmosphäre des „Talk“ mit der Altherren-Eitelkeit verdienter Entspannungspolitiker und -Journalisten zu schwängern. Auch der eingeladene Egon Krenz trug nicht gerade zur Erhellung der Zeitgeschichte bei. Immerhin steuerte er sein Scherflein dazu bei, die These zu erhärten, daß Brandt von den Reisen Wehners nach Moskau rsp. nach Ost-Berlin vorher informiert war; und daß die Ostberliner Reise Wehners speziellem Aufgabengebiet galt: dem Freikauf von Flüchtlingen.
Über Günther Müllers These, Wehner habe stets für die deutsche Einheit unter sozialistischen Vorzeichen gearbeitet, brauchen wir uns nicht weiter zu ereifern. Interessanter war da schon der Beitrag des Politologen Jürgen Seiffert, der als einziger auf die psychischen Konstanten in Wehners Charakter zu sprechen kam. Er schilderte die brachialen Methoden, mittels derer der SDS seinerzeit aus der „Mutterpartei“ gedrängt wurde, und scheute sich nicht, der Ambivalz seiner Gefühle dem „Onkel“ gegenüber Ausdruck zu geben. Am besten aber machte es Karl Wienand: Abgesehen von einigen scharfen Dementis, schwieg er beleidigt. Christian Semler
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