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StandbildKuscheljournalismus

■ "Kontext"

„Kontext“, Dienstag, 22.25 Uhr, ZDF

Der Typ mit den weißen Tennissocken soll ganz gut sein. Sagte die Frau im Swinger-Club, als sie aus der halbdunklen „Mausefalle“ herausgekrochen kam. Das ist wenigstens was Konkretes. Nett auch das Foto des weißen Schleiflackregals mit der Lederlady davor. Physiognomisch am ergiebigsten war das kühl berechnende Profil des St.- Pauli-Nachrichten-Machers Jürgen Klebe. Ansonsten bot das konfessionelle Glaubenssachen- Magazin „Kontext“ zum Auftakt des flotten Sendungs-Vierers über „Sex, Religion und Moral“ einen Kolle für die Neunziger: pseudotolerant, träge und sinnlich-praktisch wie die Unterwäscheseiten im Quelle-Katalog. Wo ein Matthias Frings („Liebe Sünde“) spitzbübisch aus dem Bauch heraus plaudert, da drückt die geballte Zivilisationslast den molligen Moderator Wolf-Rüdiger Schmidt in den Sessel. Es gebe nun mal „keine Sexualität ohne Komplexität“. Angst essen Sex auf – und plötzlich ist die Evolution im Eimer, denn Sex sei die Lebensenergie schlechthin. Dann schon lieber ein bißchen öffentlich-rechtlich präsentierte Schmuddelei, wie die lila Vibrator-Madonna. Klar, hier geht es um die „Verantwortung gegenüber einem lebendigen, schöpferischen Tun“ (Schmidt).

Dem konnten die Dramaturgie und die Erkenntnisse des Bedürfnis-Magazins leider nicht folgen. Ein abgeschlaffter Theologe („Liebe ist das Problem beim Sex“) und eine agile Ossi-Psychologin („Wir sind uns zugewandt“) langweilten sich mit dem Moderator um die Wette. Dazwischen sah man katalogmäßig, was die Szene zu bieten hat: vom Pornokino bis zur Sachbearbeiterin Karin, die abends als Telefonsex-Anbieterin weiterjobbt. Um nicht als Spießer dazustehen, befolgte Schmidt die sexual correctness und zeigte wahllos erotische Endverbraucher ohne wertende Worte, aber auch ohne jede spürbare Empathie: „Jeder muß und darf in Sachen Sex seinen eigenen Weg gehen.“

Der Lerchenberg erteilt Absolution – und weiß selbst nicht, was abgeht. Pseudo-flotte Sprüche („Leder – heute fast schon Hausfrauenstandard“) geben dem Desinteresse einen Hauch von Laisser-faire, während der Bildschirm zur keuschen erogenen Zone wird, wo Orgien im Slip abgehen. Deutschland, die verkrampfte Nation, privat – eine echte Realsatire über Gedankenlust, Sexualarbeit und leicht indignierten Kuscheljournalismus. Dieter Deul

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