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■ StandbildEndstation Spiegel-TV / "Christiane F. oder Endstation Sucht"

Christiane F. oder Endstation Sucht“, Di., 23 Uhr, Sat.1

Ich war elf. Und ich wußte Bescheid. Wußte, daß „H“ wie „Äitsch“ ausgesprochen wird, daß auf dem Babystrich 50 Mark fürs Blasen üblich waren und daß man nach einem Druck ungeheuren Appetit auf „Quark-Fix“ bekam – eine Marke, die unser Supermarkt an der Ecke auch nach mehrmaligem Quengeln nicht in sein Sortiment aufnehmen wollte.

Kaum ein Buch in meinem Jungmädchenzimmer war so zerlesen wie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“. Christiane F., deren Passionsgeschichte ich mit durchaus obszönem Interesse verschlang, war für mich eine masochistische Virtuosin aus einer anderen Welt. 17 Jahre nach dem Erscheinen des Bestsellers haben Ilka Brecht, Silke Deichsel und In-Ah Lee die inzwischen 32jährige Fixerin in Berlin aufgesucht. Doch die Spiegel-TV-Reportage, die einen Mythos zur kritischen Besichtigung freigeben möchte, gerät zum tantenhaften Krankenbesuch.

Die „echte“ Christiane mag an Unterhaltungswert nicht das halten, was die Kunstfigur aus Buch und Film versprach. Aber wer über sie berichtet, sollte doch ein Minimum an Interesse aufbringen. Mit spitzen Fingern fährt die Kamera über versiffte Teppichböden, zeigt eine schwankende Christiane oder eine volltrunkene Stella. Die Bilder sind von klinischer Distanz, als fürchteten die Reporterinnen eine Infektion. Christian Brückners zu oft gehörte Stimme soll dem ganzen einen Hauch von „Taxi Driver“ verleihen. Doch Travis Bickle, der Rächer geschundener Kinderseelen, hat diesmal einen undankbaren Job. „Man kann nicht helfen, wo keine Hilfe gewollt wird“, bilanziert die Stimme aus dem Off. Das unreflektierte Geschwätz von „Schutzreflexen ungeliebter Kinder“, „Schatten der Vergangenheit“ und der „Selbsttäuschung mit oft tödlichen Konsequenzen“ bleibt auch mit De- Niro-Timbre unerträglich.

Setzt Christiane F. an, ihre Gefühle unter „H“ zu vermitteln, betitelt der Kommentar ihre stockende Rede süffisant als „Erklärungsversuch einer Süchtigen“. Dabei ist ein „Entzug nicht besonders dramatisch“, wie „Hühnchen“, ihr ehemaliger Szenefreund, brav zu Protokoll gibt. Die „Märtyrerin“ einer ganzen Generation zeigt keine Bußwilligkeit. Das nimmt die Reportage ihr übel und degradiert sie zur Statistin eines drittklassigen Abschreckungsfilmchens. Birgit Glombitza

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