■ Standbild: Clinton: gut – Dole: böse
„Mit Knarre, Bibel und Computer. Reportagen aus dem jungen Amerika“, Mittwoch, 21.45 Uhr, ARD
Wer sich noch erinnert, wie dereinst Reporterin (!) Sabine Christiansen mit Lederjacke durch die Bronx lavierte, konnte schon erahnen, womit eine „Mit Knarre, Bibel und Computer“ betitelte Reportage aufwarten würde. Und tatsächlich: Anläßlich der anstehenden Präsidentschaftswahlen wurde da im Fünf- Minuten-Takt wieder einmal das Kuriositätenkabinett der unbegrenzten Spielarten des US-Kapitalismus besichtigt: hier die High-School-Absolventin, die trotz ihrer „durchweg guten Noten“, statt zur Uni, zur Armee geht; da der Elfjährige mit „einer eigenen Softwarefirma“; dort die christliche Popcombo „Point of Grace“, die es „total okay“ findet, wenn man mit 26 noch Jungfrau ist; oder – endgültig jenseits jedweder Repräsentationsfunktion amerikanischer Jugend – der mexikanische Einwanderer, der auf den kalifornischen Erdbeerplantagen seine illegal beschäftigten (Ex-)Landsleute für die Gewerkschaft gewinnen will.
Ob Pop und Politik, Computer und Religion oder Militär und Mode – betont pluralistisch wurden die Exempel ausgewählt. Erstaunlich homogen hingegen wirkten die ihnen abgenötigten Statements: So wünscht sich die Soldatin Amerika „als angenehmen Ort“; der Knirps wünscht sich „'ne Menge Geld“; selbst der (Ex-)Mexikaner sieht sich eher „als Mensch denn als Aktivist“; und der demokratische Gouverneurskandidat Shane Broadway aus Little Rock, Arkansas will „das System nicht auf den Kopf stellen“. Bei ihm seien die Wähler vor Überraschungen sicher. Da überrascht es dann doch, wenn der Off-Kommentar der WDR-Produktion die Porträtierten zusammenfassend als eine Jugend feiert, „die sich nicht festlegen, sondern jeden Tag neu entdecken möchte“.
Die Alte Welt tut sich schwer mit der Neuen – immer schon. Es ist wie mit Hase und Igel: Amerika ist immer schon da. Und was die europäische Jugend anbelangt, ist der Vorbildfunktion Amerikas mit enervierendem Antiamerikanismus nicht mehr beizukommen. Die ARD setzte deshalb – statt auf den ewig gleichen Kulturpessimismus – diesmal ganz auf Erbaulichkeit. Ein wenig System stabilisieren kann nie schaden, hüben wie drüben nicht. Trefflich bringt der elfjährige Gregory Miller Sinn und Reportagezweck auf den Punkt: „Clinton is good and Dole is evil.“ Christoph Schultheis
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