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■ StandbildKulanz oder Lynchjustiz

„Jetzt reicht's“, Mi., 22 Uhr, Sat.1

430 Tage saß Werner Paul im Gefängnis. Am Mittwoch nun saß er bei Vera Int-Veen – nicht „am Mittag“ und auch nicht als Videothekarinnenmörder, sondern als unschuldig eingesessener familyman, der in der neuen Dienststuben- und Dienstleistungs-Denunziationsshow „Jetzt reicht's“ auf die telegene Abbitte vom Oberstaatsanwalt wartete. Der jedoch kam nicht nur nicht, sondern wollte sich auch beim eingespielten Amtstermin mit Vera kein „tut mir leid“ abdrücken lassen.

Auch im Fall „Gabriele Motz vs. Otto-Versand“ blieb die Talk-Show mit Bürgern in Opferpose erfolglos und mußte eigenhändig in die Etattasche greifen, um der armen Frau Motz wenn schon nicht zu ihrem Recht, so doch zu dem ersehnten Badezimmer-Spiegelschränkchen zu verhelfen.

Dem erfolgreichen RTL-Vorbild „Wie bitte ...?“, das die unzähligen bis unsäglichen Streitereien der Deutschländer mit ironischer Distanz vorzuführen weiß, setzt Int-Veen bloß burschikose Berufsbetroffenheit entgegen. Dabei hat die Frau, die ihre TV-Karriere 1991 als „Warm-upperin“ begann, in „Jetzt reicht's“ derlei Stimmungsmache kaum mehr nötig: Das geladene Studiopublikum bewegte sich ohnehin an der Grenze zur Lynchjustiz: „Euch sollte man doch alle einsperren!“ brüllte ein Studiogast, dem das Querulantentum derart auf die zornige Stirn geschrieben stand, als hätte ihn Sat.1 dafür bezahlt. Doch statt dem Tumult mit einem beherzten „Jetzt reicht's!“ Einhalt zu gebieten, rief Vera dem Rechthaber lieber ein verschwörerisches „Sie haben recht!“ zu, wobei es ihr gar nicht um Recht und Unrecht geht, sondern darum, Autohändlern und Anwälten vor einem Millionenpublikum Kulanz abzunötigen. So wundert es wenig, daß das Stichwort „Verbraucherzentrale“ in der Verbrauchershow nicht ein einziges Mal Erwähnung fand. Mit seriösen Institutionen will Sat.1 wohl lieber nicht zu tun haben. Wo kämen wir auch hin, wenn Betroffene bloß ihr gutes Recht bekämen, „Jetzt reicht's“ aber keine Quote?

Wer sich von Int-Veens Beamten-Bashing betrogen fühlt, kann sich ja nächste Woche bei der ehemaligen „Mona Lisa“- Moderatorin Maria von Welser beschweren, die vom nächsten Mittwoch an im ZDF unmittelbar vor „Jetzt reicht's“ „Mit mir nicht!“ ruft. Christoph Schultheis

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