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■ StandbildSammelgebiet

„Spiegel TV: Die DDR im Amteurfilm“, Mo., 23 Uhr, Sat.1

Wer öffnet heute noch gern die Pforten seines Herzens, wenn gefragt wird, welch bittere Folgen der Bitterfelder Aufruf „Greif zur Kamera, Genosse!“ gehabt hatte? Wer mag mit „Spiegel TV“ eintauchen in das kaum perzeptible 8- und 16-Millimeter-Orbital der parteilichen Kunst wildgewordener DDR Amateurfilmfreunde, die lauernd um schnaufende Dampfloks schleichen oder das Warenangebot neu eröffneter Selbstbedienungsläden kritisch unter die Lupe nehmen? Herrlich „unverklemmte“ FKK-Aufnahmen vom Ostseestrand in Sepia? Privates Leberwurstfernsehen über missglückte Weihnachtsmanndarbietungen vor jeden Moment einstürzenden Schrankwandbauten? Gelatinöse Dokumentationen des Subbotniks der Brigade Soundso aus Karl-Marx-Dorf mit anschließend kollektivem Knorpelwursthinabschlingen? Sachsenanhaltinische Propagandastreifen des „Filmspiegels Naumburg“ zum Thema Keramikbruch (hier: Toilettenschüsseln) bei achtlosem Eisenbahntransport ohne deutsche Untertitel, dafür mit kulturrevolutionärer Marschmusik? Wow: Klassenbewusste Arbeiter und Bauern und fortschrittliche Intelligenzler antizipieren die Teletubbies? Ich seh' schon, die Freaks kriegen feuchte Hosen.

Ist ja auch superspannend gewesen. Natürlich hat jeder der interviewten Amateurfilmer das Bestmögliche aus dem Realsozialismus gemacht, gebastelt, gefummelt und überm Cutten alleweil gegrummelt: „'s gab ja nüscht.“ Trotzdem war nicht alles schlecht. Aktuelle Spitzenformulierung: „Als gelernter DDR-Bürger konnte man damit umgehen.“ Schuld am aus dem Ruder gelaufenen Sozialismus waren eh nur die anderen, die [Kraftausdruck]! Immerhin gebietet Reportagen-Autor Henry Köhler über ein Gespür für graubrotharte Pointen. Sein bester Satz am Ende der 35 Minuten ging so: „Die DDR wurde über Nacht für Briefmarkensammler und Numismatiker ein abgeschlossenes Sammelgebiet.“ Bravo. Doch mehr ist sie nie gewesen. Auch vorher nicht. Michael Rudolf

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