Stand-up auf Kurdisch: „Tragödien reichen nicht“
Der Comedian Mehmet Erbey spricht über die kurdische Sehnsucht nach Humor und darüber, wie sich die Regierenden in der Türkei vor dem Witz fürchten.
taz.gazete: In der Türkei gibt es nicht viele Comedians, die kurdisches Stand-up machen. Ist das für Kurd*innen in Zeiten politischer Repression ein Tabu?
Mehmet Erbey: Stand-up ist kein leichter Job. Du stehst allein auf der Bühne und hast den Anspruch: Hey Leute, ich bringe euch mit meinen Storys zum Lachen. Es ist nicht sehr verbreitet, weil es riskant ist. Menschen zu rühren oder zum Weinen zu bringen, ist nicht schwer. Wenn du dich hinstellst und mit bebender Stimme und dramatischer Musik das machst, was ich mache, weinen die Menschen in Zeiten, in denen sie deprimiert sind. Sie zum Lachen bringen, ist viel schwieriger.
Aber Sie schaffen es?
Wenn ich heute in Städten wie Ankara oder Istanbul eine Bühne kriege, heißt das, es kommt an. Deshalb habe ich es so weit geschafft. Sonst wäre ich nie aus Diyarbakır rausgekommen.
Seit wann machen Sie Stand-Up und wie sind Sie dazu gekommen?
Ich habe vorher fürs Theater geschrieben, das waren meistens Komödien. 2014 habe ich angefangen, Stand-up zu machen. Die politische Lage in der Türkei war dann 2015 aber so schwierig, dass ich wieder aufgehört habe. Nach drei Jahren Pause habe ich mir gesagt: Wir sollten mit den Leuten lachen, wir sollten ein bisschen Atem holen in diesen schlimmen Zeiten. Und ich habe wieder angefangen.
Ihre Show heißt „Qırdık“. Was bedeutet das?
Das ist Kurdisch und bedeutet „Spaßmacher“, also jemand, der lustig ist. Man sagt das vor allem in ländlichen Gegenden.
Worüber machen Sie Witze?
Über alles, was im Alltag so passiert. Ich erzähle vor allem von mir selbst. Was mir alles zugestoßen ist, weil ich diesen Job mache, wie die Gesellschaft denkt oder meine Familie. Ich rede über die Konflikte zwischen kurdischem Leben in der Stadt und auf dem Land, über die Assimilationspolitik gegen die kurdische Sprache, über Wirtschaft und Politik.
Gibt es einen spezifisch kurdischen Humor?
Ja, er ist sehr ausgeprägt. Vielleicht ist er ein wenig ländlich geblieben. Und wir Kurd*innen leben ihn bisher nicht voll aus. In gewisser Weise geht es mir auch genau darum. Die Kurd*innen sollten sich auf diesen Humor einlassen, diesen Humor betreiben. Ich bin überzeugt davon, dass wir ihn benutzen sollten, um all das zu erzählen, was uns so umtreibt. Nur mit Agitation, Tragödien und Dramen geht das nicht. Wo es so viel Leid gibt, braucht es den Humor. Wir Kurd*innen sollten endlich lachen. Humor ist ja auch eine Therapie. Er streichelt die Seele.
2015 haben Sie in einem Interview erzählt, dass Ihre Auftritte abgesagt worden sind. Passiert das immer noch?
2015 musste ich aufhören. Meine Tournee, die nach Dohuk und Zaxo in der autonomen kurdischen Region im Nordirak und auch nach Europa führen sollte, wurde abgesagt. Auch jetzt gibt es noch Probleme. Vieles lief bisher über Universitäten. Jetzt bekomme ich aber keine Genehmigung für Universitäten mehr, weil meine Show auf Kurdisch ist. Ich bin auch in Sälen der Kommunalverwaltungen aufgetreten. Seitdem Zwangsverwalter eingesetzt sind, geben auch sie mir keine Bühne mehr. Deshalb versuche ich jetzt, auf privaten Bühnen aufzutreten. Wenn es ganz schwierig wird, nehme ich auch Auftritte in Cafés an. Mir reicht eine kleine Bühne. Wäre die Lage anders, wäre ich schon an allen möglichen Orten aufgetreten.
Gibt es Grenzen für Sie, wenn Sie Witze erzählen?
Um ehrlich zu sein, nein. Ich erzähle Geschichten, wenn ich denke, dass sie gut sind und Menschen berühren.
Der Journalist Deniz Yücel zitierte in einem Artikel einen Witz. Der Text wurde ihm als Volksverhetzung ausgelegt und führte mitunter dazu, dass er verhaftet wurde und ein Jahr in Untersuchungshaft war. In der Anekdote geht es um einen Kurden und einen Türken, die zum Tode verurteilt werden und der letzte Wunsch des Türken ist es, dass der Kurde seine Mutter kein letztes Mal sehen darf…
Komödien entstehen oft aus tragischen Ereignissen. Dieser Witz verweist auf eine hundertprozentig wahre Situation. Wir können noch so oft sagen „Wir sind Brüder, wir haben kein Problem miteinander“ oder „ausländische Kräfte“ für unsere Probleme verantwortlich machen. Tatsächlich beschreibt diese humoristische Anekdote das Verhältnis zwischen Türk*innen und Kurd*innen sehr treffend. Und ja, wenn du diesen Witz machst, landest du womöglich vor Gericht. Man darf weder etwas schreiben, noch reden, noch Witze machen. In solchen Zeiten leben wir.
Was sind das für Zeiten, von denen Sie sprechen?
Plötzlich ist alles heikel, weil es den Fortbestand des Staates gefährden könnte. Die Machthaber halten Humor für eine gegen sie gerichtete Respektlosigkeit. Denn die Macht des Humors ist etwas Besonderes. Ich glaube, so stellt sich die Lage vor allem dort dar, wo Druck ausgeübt wird. Ich kann mich selbst daran erinnern. Über die ehemaligen Ministerpräsidenten Süleyman Demirel oder Turgut Özal wurden Witze gerissen. Ihre Stimmen wurden imitiert, ihre Taten humoristisch kritisiert. Heute kannst du dir keinen einzigen Satz erlauben.
Die kurdischen Gebiete haben seit 2015 einen Wandel durchlebt. Wie reagiert Ihr Publikum darauf?
Vor vier Jahren gab es eine Friedensphase. Da waren die Leute emotional nicht so niedergeschlagen wie heute. Heute ist es aber wirklich besorgniserregend. Jetzt stecken wir in der Krise, wirtschaftlich und politisch. Und gleich nebenan wird Krieg geführt. Das lässt auch mich nicht kalt.
Mit dem stärker werdenden türkischen Nationalismus ist auch der Druck auf die kurdische Sprache wieder gestiegen. Bekommen Sie das zu spüren?
Diese Frage beantworte ich lieber nicht. (lacht)
Mehmet Erbey wurde 1978 in Kızıltepe/Mardin geboren. Er absolvierte eine zweijährige Ausbildung im Cegerxwîn-Kulturzentrum in Diyarbakır. Dort lernte er 2007 ein halbes Jahr lang bei einer Theatergruppe aus Schweden. Seither steht er in Diyarbakır und auch in anderen Städten wie Mardin, Van, Ankara oder Istanbul auf der Bühne.
Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe
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