vorlauf: Stampede vor dem Kanzleramt
Die Meute (21.40 Uhr, ARD)
Einen blendenden Ruf genießt die Fotografin und Filmemacherin Herlinde Koelbl. Zuletzt ermunterte sie uns mit ihrer preisgekrönten Dokumentation „Spuren der Macht“, über die Physiognomien von Politkern zu meditieren und zeigte, wie sich das Amt ins Gesicht eingräbt. Ihren distanzierten Blick hat sie nun auf die eigene Branche gerichtet, mit der sie sich nicht gemein machen will: „Die Meute“ schildert den Alltag von Journalisten, Fotografen und Kameraleuten, die zwischen Reichstag und CDU-Zentrale auf O-Ton-Jagd gehen.
Zunächst hat sich Koelbl selbst auf die Jagd begeben, hat Statements führender Chefredakteure eingefangen – wobei die Mächtigsten, Stefan Aust vom Spiegel und Mathias Döpfner von Bild, die Dame haben stehen lassen wie der Kanzler den armen Werner Sonne von der ARD. Eben diese Wesensverwandtschaft zwischen Politikern und Journalisten macht den Reiz der Dokumentation aus. „Ich war am längeren Hebel“, beschreibt etwa der ehemalige Bild-Chef Udo Röbel die Machtachse zwischen Kanzleramt und dem Boulevardblatt.
Ohne sich selbst in den Nahkampf zu stürzen, fängt Koelbl die Stampede subalterner wie wichtiger Medienvertreter in beinahe kinotauglichen Bildern ein. In der Ruhe vor dem Sturm geht ihr Blick in langer Fahrt an neun auf dem Gehsteig abgestellten Kameras vorbei. „Wie Waffen liegen die dort“, schreibt erschaudernd Hans Hoff in der Süddeutschen Zeitung. Der etwas blumigere Reinhard Mohr erkennt im Spiegel gar „Tonknechte und Kamera-Djangos, deren Gerätschaften bei längeren Wartepausen schon mal auf dem Bürgersteig in Standby-Position paradieren wie die schweren Motorräder am Rand der Avus“, womit auch schon das Problem markiert wäre: Koelbls Bericht über Medienberichterstatter verleitete manche Medien schon im Vorfeld, sich mit erstaunlicher Neugierde dem eigenen Nabel zuzuwenden. Wo sie nicht knochentrocken dokumentiert wird, dort pflanzt sich die journalistische Eitelkeit heiter fort.
Umso größer ist der Erkenntnisgewinn für die Zuschauer, die ihre Nachrichten nach „Die Meute“ wohl mit anderen, offeneren Augen sehen werden.
ARNO FRANK
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