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Stadtvertreter über Warteschlangen„Das macht die Leute krank“

Bremer Ämter sind natürlicher Lebensraum für Riesenschlangen. Im Interview wehrt sich der Personalrat des Stadtamtes Rainer Besser gegen Kritik

Geduldiger als die Wartenden in den Behörden: hoheitliches Amtspapier Foto: dpa
Gareth Joswig
Interview von Gareth Joswig

taz: Herr Besser, wegen der Wartezeiten gab es im Standesamt-Mitte tumultartige Zustände. Zweimal musste die Polizei anrücken. Was war da los?

Rainer Besser: Leute warten seit Wochen auf Anmeldetermine, für Neugeborene gibt es keine Geburtsurkunden. Ohne die bekommen Eltern kein Kindergeld. Ich kann den Ärger voll und ganz verstehen. In der Situation würde ich auch meinen Unmut äußern, natürlich ohne gewalttätig zu werden. Mitarbeiter haben sich sogar eingeschlossen, weil sie um ihre Sicherheit besorgt waren.

Der Innensenator Mäurer sagte, der Personalrat sei „ein Teil des Problems“ der langen Wartezeiten. Wie sehen Sie das?

Der Innensenator macht es sich sehr leicht. Wir stehen einem Kompromiss nicht im Weg. Für eine Lösung des Problems müsste man allerdings mit uns reden. Der Senator hat leider kein einziges Mal mit uns gesprochen.

Im Interview: Rainer Besser

52, ist Verwaltungsangestellter und stellvertretender Personalratsvorsitzender des Stadtamtes.

Was ist denn der Grund für die langen Wartezeiten?

Wir werden vom Senator für Finanzen kaputt gespart. Bei uns gibt es keine festen Planstellen. Auch deswegen haben wir viele personelle Abgänge. Diese Stellen dürfen wir nicht neu besetzen. Hinzu kommen noch Pensionierte. Allein im vergangenen Jahr sind davon 39 Stellen betroffen. 30 davon durften wir nicht neu besetzen. Auf der Arbeit bleiben die übrigen Kollegen sitzen. Vor alle junge Leute, die Planungssicherheit brauchen, weil sie etwa eine Familie gründen wollen, können wir nicht hier halten.

Wie geht es der Belegschaft dabei?

Die Beschäftigten sind überlastet. Das zeigt sich im hohen Krankenstand. Durchschnittlich fehlt ein Beamter hier 33 Tage im Jahr – jeder zehnte ist krankgeschrieben.

Woran liegt das?

Der Dauerstress ist nicht auszuhalten. Die Kollegen und Kolleginnen kämpfen sich durch. Wir arbeiten nach einer festen Taktung, jeder Fall darf nur 15 Minuten dauern. Die Ausstellung eines Personalausweises dauert etwa 15 Minuten. Ist es komplizierter, dauert ein Fall auch mal 25 Minuten. Für den nächsten Vorgang habe ich danach nur noch fünf Minuten. Dieser Taktung läuft man hinterher. Wo bleibt da noch die Zeit für den Toilettengang oder den Weg zur Kaffeemaschine? Das macht die Leute krank.

Wir wäre es da mit personeller Unterstützung? Mäurer warf dem Personalrat vor, dass er gegen die Beschäftigung von studentischen Hilfskräften ist.

Grundsätzlich sind wir nicht gegen Hilfskräfte. Aber auch die muss zunächst ein fester Mitarbeiter einarbeiten. Und das grundsätzliche Problem lösen sie nicht. Welche vernünftige privatwirtschaftliche Firma versucht, dauerhafte Lücken mit Hilfskräften zu besetzen? In Teilen kommt es durch Hilfskräfte sogar zu einer höheren Belastung der festen Mitarbeiter.

Inwiefern?

In der Bremer Erklärung gegen prekäre Beschäftigung steht, dass Hilfskräfte zusätzliche Aufgaben übernehmen sollen. Bei uns können studentische Hilfskräfte nach der Einarbeitung leichtere Aufgaben übernehmen, wie etwa Ummeldungen innerhalb Bremens. Das dauert im Regelfall nicht länger als fünf Minuten. Diese leichten Fälle fehlen dann allerdings den Sachbearbeitern in ihrer Taktung. Die beschäftigen sich dann nur noch mit komplizierteren Fällen, laufen der Arbeit hinterher und haben keine gesunde Mischung mehr.

Wo ist das Problem?

Das ist sehr anstrengend: Nach sechs Stunden Publikumsverkehr im Stadtamt sind unsere Mitarbeiter fertig. Eine dauerhafte Lösung kann nur mehr Kernpersonal sein. Zudem steigt mit studentischen Hilfskräften die Fehlerquote.

In der Vergangenheit adressierten Sie auch Vorwürfe an die Stadtamtsleitung, namentlich Marita Wessel-Niepel.

Man kann ihr nicht alleine die Schuld an allem geben. Die Problematik im Stadtamt gab es auch schon vor Wessel-Niepels Amtsantritt. Was soll sie tun, wenn Personal fehlt? Allerdings laufen manche Dinge unter ihr wirklich schlecht: Zum Beispiel gibt das Stadtamt im Jahr über 8.000 Euro für Mietblumen aus. Die wären in Maßnahmen für die Gesundheit der Mitarbeiter deutlich besser aufgehoben. Früher gab es etwa Supervisionen, das hat ein wenig geholfen.

In welchem Umfang müsste das Personal im Stadtamt aufgestockt werden?

Selbst die Gewerkschaft der Polizei hat uns in unserer Forderung unterstützt, dass wir 70 Stellen mehr bräuchten, um unsere Aufgaben angemessen bewältigen zu können. Minimal bräuchten wir 50 Stellen mehr.

Warum gibt es das Problem schon so lange?

Das liegt daran, dass die Politik nur Flickschusterei betreibt. Jedes Jahr in der Urlaubszeit, wenn das Problem unübersehbar ist, wird versucht, mit etwa studentischen Hilfskräften auszubessern.

Was wäre denn ihrer Meinung nach eine sinnvolle Lösung?

Das Standesamt ist auch deswegen so überlastet, weil die Geburtsurkunde in dem Ortsteil ausgestellt werden muss, in dem die Geburt erfolgte. Auch wenn die Eltern etwa aus Niedersachsen kommen. Aus dem Umland fahren die natürlich in Bremer Krankenhäuser. Vielleicht könnte man diese Ortsgebundenheit aufheben und Geburtsurkunden auch an der Meldeadresse der Eltern ausstellen.

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