■ Stadtmitte: Männergewalt und subtiler Rassismus
Eine deutsche Jugendstrafkammer verurteilte eine junge türkische Frau wegen versuchten Totschlags zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung. Sie wurde von ihrem streng religiösen Vater zwangsverheiratet, nach der Heirat von ihrem Mann jahrelang terrorisiert, vergewaltigt und gequält. Um sich aus ihren unerträglichen Lebensumständen, den Drohungen und der Gewalt – die bis heute anhalten – zu befreien, versuchte sie, ihren oftmals betrunkenen Ehemann mittels eines Beils zu töten. Dieses tragische Ereignis hätte auch in der Türkei geschehen können. Vielleicht wäre diese Frau unter diesen Umständen dort freigesprochen worden.
Die Berichterstattung über diesen tragischen Vorfall in der deutschen Presse hat wieder einmal die Vorurteile und Klischees gegenüber der türkischen Kultur und Familienleben bestätigt. Es wurde in keinem der Artikel unter dem Aspekt Männergewalt gegen Frauen – die in jeder Gesellschaftsform und in jeder Kultur und Religion zu finden ist – berichtet, sondern kulturspezifisch abgesondert. Sogar der Richter begründete seine milde Straffindung damit, daß die junge Frau in deutscher Kultur aufgewachsen sei und ihre Befreiungsversuche aus der „barbarischen Kultur“ ihrer Eltern schließlich allzu verständlich seien.
Die Gewalt von Männern gegen Frauen ist in der deutschen Gesellschaft Alltag. Es gibt sie in allen Gesellschaftsschichten. Nirgendwo ist der sexuelle Mißbrauch von Frauen und Mädchen so groß wie in der europäischen Kultur, in welcher dieses Thema erst seit wenigen Jahren öffentlich diskutiert wird. Auch in deutschen Ehen werden Ehefrauen vergewaltigt. Kinderpornographie ist in Europa ein florierender Unterhaltungsfaktor. Deutsche Touristen, darunter Lehrer, Ärzte und Erzieher, fliegen als Sextouristen nach Thailand. Alkoholisierte Männer und Jugendliche, fast noch Kinder, überfallen tagtäglich Flüchtlingsheime, ermorden, zerschlagen Schwarze und Angehörige anderer ethnischer Minderheiten. Es können in dieser Reihe genügend Beispiele von Gewalt mitten in Deutschland aufgeführt werden. Sogar unter den Augen der gesamten Welt ist es möglich, daß in Bosnien Tausende von Frauen von Männern vergewaltigt, mißbraucht und getötet werden.
Es ist gefährlich, Männergewalt anderen Kulturen und Religionen zuzuschreiben. Jede Religion diente Männern als Mittel ihrer Macht- und Gewaltausübung gegen Frauen (Hexenverbrennung). Es stellt sich die Frage, ob hinter dieser Art von Berichterstattung nicht subtiler Rassismus verborgen ist.
Wenn über „Ausländer“ berichtet wird, dann meist, wenn es sich um kriminelle, gewalttätige oder nicht integrierbare Menschen handelt. Nach den rassistischen Angriffen auf ethnische Minderheiten und Schwarze, welche in mehreren Morden gipfelten, wurde ab und zu ein Ausländer um seine Meinung gebeten nach dem Motto: „Wie schützt Ihr Euch jetzt gegen Ausländerfeindlichkeit, oder überlegt Ihr Euch nun doch, heimzukehren?“
Es ist uns schon lange bekannt, daß die deutsche Presse zum gesellschaftlichen Rassismus beiträgt, wie nun wieder zu sehen ist. „Ausländer“ sind weder Engel noch Teufel, sondern so gut und so schlecht wie jeder andere auch. Solange die deutsche Elite ethnische Minderheiten im Negativen sonderbehandelt und es legale Gesetze zur Aussonderung gibt, sind sie Mittäter am alltäglichen Rassismus. Das ist auch eine subtile Art von Gewalt, welche hauptsächlich von Männern ausgeht.
Es ist höchste Zeit, damit aufzuhören, Gruppen ethnischer Minderheiten zu diskriminieren und mit der Darstellung negativer Klischees Fremdheit aufrechtzuerhalten. Andere Religionen und Kulturen sollten in dieser Gesellschaft endlich akzeptiert werden. Sevim Celebi
Vorstandsmitglied Akarasu e.V., Immigrantinnen-Verein für Gesundheit, Bewegung und Bildung
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