piwik no script img

StadtgesprächStaunen und Zittern

Die Affäre Fillon macht aus Frankreichs Wahlkampf ein Trauerspiel mit offenem Ausgang

Rudolf Balmer Aus Paris

Die Bauern, die derzeit an der großen Pariser Landwirtschaftsmesse ausstellen oder fachkundig Kühe, Schafe oder Ziegen begutachten, erwarten wenig von den Präsidentschaftskandidaten, die ihnen ihren obligaten Besuch abstatten. Für diese gehört es zum Pflichtprogramm, beim Streicheln eines Zuchtbullen oder Kosten von Käse fotografiert zu werden. „Die kommen alle fünf Jahre, wenn Wahlen sind, danach hören wir nie wieder von ihnen“, heißt es im Chor am Stand der bretonischen Züchter der „Pis noirs“ (Schwarzeuterkühe), deren preisgekrönte „Fine“ das Plakat des diesjährigen Salons ziert.

Ausgesuchte Worte gibt es für François Fillon. Der Kandidat der französischen Konservativen hatte seinen Messebesuch am Mittwochvormittag kurzfristig abgesagt. „Falls er hier aufkreuzt, warte ich mit meiner Pfanne auf ihn“, droht „Toinette“ aus Guadeloupe am Stand der Antillen. Wenn nämlich ein hohes Tier Dreck am Stecken hat, spricht man in Frankreich von „Casseroles“ (Pfannen), die er scheppernd hinter sich herziehe.

Eigentlich habe Fillon sich ja selber in die Pfanne gehauen und dabei auch noch seine Partei, hört man in Geschäften oder Cafés, wenn sich die Gespräche um Politik drehen. „Ich hatte immer die Gaullisten gewählt, Chirac, dann Sarkozy. Obwohl … Diesen Fillon aber mag ich gar nicht, der schaut so finster drein. Wie er jetzt auch noch den Sturkopf spielt, das geht gar nicht“, sagt beim Plaudern vor der Apotheke die mittlerweile 89-jährige ehemalige Krankenschwester Anne-Christine, die stolz ist, weil sie sich über Internet zu den Wahlen täglich à jour hält.

Andere sagen, sie wüssten nun wirklich nicht mehr, ob sie wählen würden, und falls überhaupt, wen. Die Anhänger von Marine Le Pen, die seit Jahren mit dem Slogan „Tous pourris“ (Alle korrupt) pauschal Stimmung macht, outen sich wie üblich nicht. Die völlig desillusionierten Meinungen über die Politiker aber sind so verbreitet wie nie. Es reicht, den Namen Fillon zu nennen, um als Antwort wortlose abfällige Gesten zu bekommen.

Mit „Stupeur et tremblements“ (Staunen und Zittern) zitiert L’Opinion zu diesem Thema den Titel eines Bestsellers der Autorin Amélie Nothomb, um dann fast genüsslich die Konsternation im Lager Fillon zu schildern. Dass dieses Blatt, das dem konservativen Präsidentschaftskandidaten eigentlich politisch nahesteht, so hämisch reagiert, ist bezeichnend. Kopfschüttelndes Unverständnis dominiert am Tag nach Fillons Ankündigung, trotz der Ermittlungen gegen ihn wegen Unterschlagung öffentlicher Gelder, Veruntreuung und Machtmissbrauch seine Kampagne fortzusetzen, in den Medien.

„Koste es, was es wolle“, meinen gleich mehrere Regionalzeitungen zu Fillons Absicht, den Wahlkampf fortzusetzen, über den ein zum Himmel stinkender Schwefelgeruch der Finanzaffäre „Penelopegate“ hängt. Fillons Kampagnenhelferin Florence Portelli glaubt indes unbeirrt an die völlige Unschuld ihres Kandidaten. Eine Assistentin könnte sogar „bezahlt werden, um zu stricken“, rechtfertigt sie Fillons Argumentation, er werde belegen, dass seine Gattin effektiv für ihn gearbeitet habe.

Mehrere prominente Mitarbeiter seines Wahlkampfteams haben ihren Rücktritt eingereicht, zuletzt sein Sprecher. Dreißig Abgeordnete seiner Partei Les Républicains fordern ihn auf, einem anderen Kandidaten den Vortritt zu lassen, solange das noch geht. Der Eiertanz, den Fillon am Mittwoch aufführte, indem er zunächst glauben machte, er werde aus Respekt vor der Justiz zurücktreten, um dann aber mit unglaublicher Vehemenz die Richter zu attackieren und in bester populistischer Manier seine Anhänger gegen den versuchten „politischen Mord“ zu mobilisieren, hat den bereits Zögernden noch den Rest gegeben.

Am meisten enttäuscht und oft echt wütend sind nicht seine Gegner, sondern die Rechtswähler, die ihn bei den parteiinternen Vorwahlen im November als unschlagbaren Favoriten hochgejubelt hatten. Alain Juppé wäre ihrer Ansicht nach jetzt bestens qualifiziert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen