Stadtgespräch: Hurra, die Schule brennt
Immer mehr Schüler in Kenia zünden ihre Internate an. Das Bildungswesen des Landes gehört reformiert
Ilona Eveleens Aus Nairobi
Es ist ein heißer Winter. Mehr als 120 Oberschulen in Kenia sind in den letzten Wochen in Flammen aufgegangen. Die Brandstifter haben es gezielt auf die Schlafsäle von den Internaten abgesehen. Zum Beispiel in Kabernet im Westen des Landes: Während die 400 Jungs beim Abendessen saßen, wurden ihre Schlafsäle angezündet und völlig zerstört. Mehr als 6.000 Schüler sind mittlerweile nach Hause geschickt und genießen früher als ihre Kameraden die Winterferien – die auf der südlichen Hemisphäre dann stattfinden, wenn in Europa Sommer ist.
In Kenia gibt es überall Internate: keine teuren Eliteschulen, sondern eine praktische Lösung in einem Land weiter Entfernungen. Die staatlichen Internate bestehen aus einfachen Gebäuden mit separaten Schlafsälen. Dort schlafen Schüler zu Dutzenden in einem Saal auf Etagenbetten, ihr Eigentum bewahren sie in Metallkoffern auf.
Noch gibt es keine Toten, aber Dutzende Kinder haben Brandwunden erlitten beim Versuch, ihre Sachen zu retten. Die Schlafsäle fangen meist dann Feuer, wenn die Schüler im Unterricht oder beim Essen sitzen.
Nach aller Wahrscheinlichkeit sind Schüler die Brandstifter. Diejenigen, die verhaftet worden sind, verneinen es. Aber anonym haben einige es gegenüber Medien zugegeben.
Manche, wie in Kabernet, wollten einen ganzen Monat Ferien haben in diesem August, so wie immer. Kenias Regierung hat dieses Jahr die Winterferien halbiert, sie beginnen erst am 12. August. Das ist sehr schlecht angekommen.
Ein zweiter Grund sind neue strenge Maßnahmen der Behörden, um Betrug beim Abitur zu verhindern oder jedenfalls zu verringern. Jedes Jahr wundern sich Kenianer, dass Schüler ihre Abiturfragen schon Wochen vor der Prüfung in der Hand halten. Voriges Jahr flog ein Kartell auf, dem auch hohe Beamte der staatlichen Abiturbehörde angehörten. Sie sollen durch den Vorabverkauf der Prüfungsfragen gut verdient zu haben. Nicht nur Schüler haben gekauft, sondern auch Eltern. Die Polizei glaubt nun, dass ehemalige Mitglieder dieser korrupten Kartelle zumindest einige der Brände angestiftet haben.
Die Brandserie nahm ihren Anfang im Mai in Kilifi an der Küste des Indischen Ozeans. Ganz schnell verbreiteten sich die Brände in den Rest des Landes. Von Nachahmungstätern sprechen Lehrergewerkschaften. Obwohl es keine nationalen Schülerverbände gibt, wird angenommen, dass Schuler Facebook und Twitter nutzen, um einander zu ermuntern, Schulen anzuzünden.
Die Brandstiftungen treffen das Land an einem empfindlichen Punkt. In Kenia herrscht der starke Glaube, dass Schüler der Armut entfliehen können, wenn sie gute Noten haben. Eltern bestrafen Kinder, wenn das nicht so ist. In den Ferien werden sie zur Nachhilfe geschickt.
Derweil verdienen Lehrer oft wenig und haben nebenbei Zweitjobs. Oft sind sie gar nicht in der Schule. Die Schüler müssen sich selbst unterrichten. Und die Art von Unterricht ist im vorigen Jahrhundert stecken geblieben: Wer an Schulgebäuden vorbeigeht, hört noch immer, wie Kinder ihre Lektionen herunterleiern. Auswendig lernen steht höher im Kurs, als selbst zu analysieren.
Dabei nützt es nicht einmal viel. Gute Jobs zu bekommen hängt in Kenia weniger an den Schulnoten, sondern daran, wen man kennt.
Ausbildungsexperten glauben, dass Schüler im großen Ganzen unzufrieden sind. Bildungsexperte Professor Chacha Nyaigoti findet, dass die Regierung gründliche Reformen anfangen sollte. „Es ist höchste Zeit, zuzuhören, was die Schüler selbst zu sagen haben: Was sind ihre Probleme und wie würden sie gerne ihre Ausbildung ausgestattet sehen.“
Aber Kenias Regierung ist nicht gesprächsbereit. Präsident Uhuru Kenyatta drohte Schülern mit einem Sprichwort: „Sie werden erfahren, dass Feuer mit Feuer beantwortet wird.“ Bildungsminister Fred Matiang’i warnt, dass die Regierung beim Wiederaufbau abgebrannter Schulen nicht helfen wird. „Eltern und Schüler sollen selbst das Geld finden“, meint er. Nun zirkulieren auf Facebook Spendenappelle für neue Schlafsäle.
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