Stadtgespräch: Präsident für 12 Stunden
Die Amtsübergabe der argentinischen Präsidentin an ihren Nachfolger geriet zur Tragikomödie
Jürgen Vogt aus Buenos Aires
Wieder einmal geben sich in Argentinien die Präsidenten in schneller Folge die Klinke in die Hand. Diesmal waren es drei in nur 24 Stunden. Als Letzter blieb Mauricio Macri. Am Donnerstag legte der 56-jährige Mitte-rechts-Politiker vor der Kongressversammlung in Buenos Aires den Amtseid ab. Macri löste Federico Pinedo ab, der 12 Stunden und 14 Minuten zuvor in seiner Eigenschaft als Senatspräsident auf richterliche Anordnung die Präsidentschaft des Landes von seiner Vorgängerin Cristina Kirchner übernommen hatte.
Das Gerangel um die Amtsübergabe war losgegangen, kaum dass Mauricio Macri die Präsidentschaftswahl am 22. November gewonnen hatte. Cristina Kirchner ließ ein riesiges Gesetzespaket durch den Kongress peitschen, stellte zahlreiche Staatsangestellte ein, ließ Verdiente und Vetternwirtschaftsverdiente mit Pöstchen versorgen, machte aber keinerlei Anstalten, die Staatsgeschäfte ihrem Nachfolger zu übergeben.
Tagelang hielten die Unterhändler beider Seiten die Bevölkerung mit immer neuen Zwischenständen und Lösungsvarianten in Atem. Schließlich griff selbst Macri zum Telefon. Er habe geschrien und sie beschimpft, berichtete Kirchner danach. Anonyme Ohrenzeugen sagten, es sei lediglich laut zugegangen. Nachdem ein allerletzter Versuch der Unterhändler scheiterte, schaltete Macri die Justiz ein.
Am Dienstag beantragte er eine einstweilige Verfügung, nach der Cristina Kirchners Mandat am 9. Dezember um Mitternacht endete und ihr untersagt wurde, danach Entscheidungen zu treffen. Eine Richterin gab ihm recht, ließ keinerlei Widerspruch zu und ordnete die Übernahme der Amtsgeschäfte durch den Senatspräsidenten bis zur Vereidigung des neuen Präsidenten an.
„Hat jemand ernsthaft geglaubt, dass Cristina dem Macri mal so eben die Schärpe umhängt und geht?“, fragt Bruno Castells. „2002 hatten wir in zwei Wochen fünf Präsidenten. Die Kirchners haben uns aus diesem Chaos geführt.“ Deshalb ist der 55-jährige Mechaniker am Mittwochabend auf die Plaza de Mayo gekommen, sich zu bedanken und Cristinas letzten großen Auftritt mitzuerleben.
Dicht gedrängt stehen die Menschen seit Stunden auf der Plaza. “Cristina no se va (Cristina geht nicht)“, singen sie. Vor allem aus den sozial schwachen Vororten, dem conurbano, sind sie gekommen. Ganz in Weiß tritt Cristina auf die Bühne. Sie habe heute nicht so viel Zeit, nur bis Mitternacht. Dann zieht sie ihre Bilanz, nennt die Erfolge und sagt, dass sie heute allen in die Augen schauen kann. Viele haben dort Tränen. Abschied, Feuerwerk.
Um Mitternacht erklingen in den gut betuchten Vierteln der Hauptstadt die cacerolazos, die Kochtopfkonzerte. Die Ober- und Mittelschicht feiert den Abgang der Präsidentin. “Por fin (endlich)“, schreit eine gut situierte ältere Dame in die Mikrofone der Reporter. Erleichterung und Hass scheinen sich die Waage zu halten. 12 Stunden später legt Macri den Amtseid ab. In seiner Rede ruft er zum Dialog auf und zur Toleranz gegenüber Andersdenkenden. Möglich, dass er in seiner Anhängerschaft dazu noch Überzeugungsarbeit leisten muss.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen