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Stadtgespräch Reiner Wandleraus MadridIn Spanien trotzten die Menschen mit Transistorradio und Gasherd dem Stromausfall – und manch eine wurde zur spontanen Retterin in der Not

Und plötzlich „merkst du, wie hilflos wir eigentlich sind“, sagt Raúl. Der 60-jährige Frührentner spricht – wie viele in Madrid – auch Tage nach dem totalen Blackout auf der gesamten Iberischen Halbinsel noch immer darüber: Wie es ihm an jenem Montag erging, als um 12.33 Uhr mittags der Strom ausfiel und bis spät in die Nacht wegblieb. „Kreativität war gefragt“, sagt Raúl. „Ich kramte die Weihnachtsgirlanden hervor. Sie werden mit Batterien betrieben“, erzählt er und zeigt ein Foto.

„Auch im Transistorradio waren Batterien. So waren wir ständig informiert. Und ich habe einen Gasherd und konnte so kochen“, berichtet er weiter. Raúl lud die Nachbarn, die einen Elektroherd haben, ein, ihr Essen bei ihm aufzuwärmen. „Vor wenigen Wochen noch machten alle Witze, als die EU mahnte, ein Notfall-Kit zusammenzustellen. Jetzt merkten wir plötzlich, dass das tatsächlich jederzeit gebraucht werden kann.“ Lange Schlangen, sagt er, hätten sich weiter oben in der Straße vor einem kleinen Elektroladen gebildet. Radios und Batterien waren schnell ausverkauft.

Während des Gesprächs trinkt Raúl seinen allmorgendlichen Kaffee, in einer der zahlreichen Kneipen der Madrider Altstadt. Kellnerin Elizabeth hatte an dem schicksalshaften Montag ihren freien Tag. „Zum Glück gehen mein Mann und ich gerne campen“, sagt die 22-Jährige. So fand sie schnell alles, was sie brauchte. Sie holte den Gaskocher aus dem Auto und kochte Brei für ihre sieben Monate alte Tochter. Die Solarlampen waren aufgeladen und einsatzbereit, eine kleine Powerbank hielt die Handys am Laufen. „Allerdings war die meiste Zeit das Netz weg“, sagt Elizabeth. Nur eins fehlte der kleinen Familie: „Ein Transistorradio. Deshalb gingen wir immer wieder zum Auto, um dort die Nachrichten zu hören. Auf dem Laufenden zu sein, beruhigt ungemein.“

„Zum Glück kam bei uns im Stadtteil der Strom wieder, als es gerade dunkel wurde“, sagt die Kellnerin. Sie lebt in einem Außenbezirk. Und dort hätten sich bereits „schwarz gekleidete Jugendbanden“ versammelt: „Sie hatten wohl die Supermärkte im Auge.“ Als der Strom wieder da war, bestellte Elizabeth zuallererst ein kleines Radio. Fünf Euro habe das gekostet – „für das nächste Mal, das hoffentlich so schnell nicht kommt“.

Wirklich hart traf der Stromausfall Leute wie Xavi. Der 43-jährige Braumeister saß im Zug von Barcelona nach Madrid, wo er sein Craftbier vorstellen wollte. „Unser Zug blieb einfach stehen, mitten in der Pampa“, berichtet er. Erst fünf Stunden später holten Zivilschutz und Polizei die 500 Reisenden heraus. Ein Bus und unzählige private Pkw brachten die Menschen in die Sporthalle eines nahegelegenen Dorfs. Dort gab es endlich Essen und was zu trinken. „Später fuhren sie uns zum Bahnhof nach Saragossa, wo wir die Nacht verbrachten.“ Am kommenden Tag habe es noch immer keine Züge gegeben. Xavi fand schließlich einen Leihwagen – und kam mehr als 24 Stunden nach seiner Abreise endlich in der Hauptstadt an.

„Ich habe bei dieser Odyssee so einiges gesehen“, sagt er, „zum Beispiel Menschen, die nur an sich denken.“ Kaum sei der Zug stehengeblieben und die Nachricht gekommen, dass der Strom in ganz Spanien weg war, habe sich im Zugrestaurant eine lange Schlange gebildet. Viele hätten große Mengen an Sandwichs gekauft. „Andere – wie ich – gingen dann leer aus“, sagt Xavi. Dankbar ist er gegenüber der vielen selbstlosen Helfer, die etwa mit ihrem Privat-Pkw Menschen am Zug abholten oder ihnen Wasser brachten.

Sandra ist eine von denen, die spontan Hilfe leisteten. Die 43-jährige Direktorin einer Grundschule in der Altstadt von Madrid nahm 52 Jugendliche mit ihren Lehrern auf. „Sie waren auf Tagesausflug aus Saragossa und kamen nicht wieder weg“, sagt sie. Ein Hotel für eine so große Gruppe war nicht zu finden. „Ich ließ sie in der Sporthalle übernachten.“ Taschenlampen und Gasherd erleichterten das Leben im Dunkeln. Und der Hausmeister hatte sogar ein Radio.

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