Stadtgespräch Jürgen Vogt aus Buenos Aires: Argentiniens neuer Präsident verbietet, auf Staatsebene zu gendern. Weil im libertären Staat sowieso alle die gleichen Rechte hätten
Kaum hat sie ihn gesehen, zieht mich meine Hündin Pinky zielstrebig zu einem Boxer aus der Parallelstraße. „Darf ich zu meiner Hündin noch ‚perra‘ sagen oder heißt es jetzt nur noch ‚perro‘?“, begrüße ich dessen Besitzer scherzhaft. Der hatte im vergangenen November den libertären Milei mit zum Präsidenten gewählt hat. „Das weiß ich nicht“, antwortet er. „Meiner ist jedenfalls ein Macho.“ Männchen und Weibchen werden hierzulande macho und hembra genannt. „Oder soll ich mache sagen?“, feixt er.
Worauf wir anspielen? Gendern ist künftig am Río de la Plata auf Staatsebene nicht mehr gestattet. „Präsident Javier Milei hat Maßnahmen ergriffen, um die integrative Sprache und die Geschlechterperspektive in der gesamten nationalen öffentlichen Verwaltung zu verbieten“, teilte Argentiniens Präsidentensprecher Manuel Adorni am vergangenen Dienstag mit. Es dürfen keine Sonderzeichen verwendet werden und die unnötige Verwendung der weiblichen Form in Dokumenten muss vermieden werden, so der Sprecher.
Obwohl viel später als in Deutschland, wird auch in Argentinien um die Benutzung einer integrativen Sprache gerungen. Statt dem männlichen O oder dem weiblichen A am Wortende wurde lange mit einem @ oder einem X experimentiert. Inzwischen wird vorwiegend ein E verwendet. Die Verwendung von Doppelpunkten oder Sternchen ist unbekannt.
Die Regierung werde sich nicht an der Debatte über integrative Sprache beteiligen, verkündetet nun Präsidentensprecher Adorni, „weil wir glauben, dass die Geschlechterperspektive auch als Mittel der Politik eingesetzt wird“.
Das Boxer-Herrchen glaubt: „Das wird niemanden auf die Straße treiben.“ Bisher sei das doch nur von oben verordnet gewesen. Tatsächlich wurde inklusive Sprache während der Amtszeit von Präsident Alberto Fernández gefördert. „Die Menschenrechte sind die grundlegende Rechte von Männern und Frauen, ‚de todos y de todes‘“, sagte Fernández vor zwei Jahren und setzte die inklusive Sprache mit einem Menschenrecht gleich.
Doch während Fernández über seinen Sohn Estanislao, besser bekannt als Dragqueen Dyhzy, einen direkten Zugang zu dem Thema hatte, ist die engste Beraterin des kinderlosen Javier Milei seine Schwester Karina, die von allen nur „el Jefe“ – der Chef – genannt werden darf.
Nach seiner libertären Ideologie haben theoretisch alle Menschen unterschiedslos die gleichen Rechte. „Der Grundstein unseres Glaubensbekenntnisses ist, dass alle Menschen gleich geschaffen sind, dass wir alle die gleichen unveräußerlichen Rechte haben, die uns vom Schöpfer verliehen wurden, darunter Leben, Freiheit und Eigentum“, erklärte er auf dem Davoser Wirtschaftsforum im Januar. Entsprechend löste Milei das Ministerium für Frauen, Gleichstellung und Vielfalt und das Nationale Institut gegen Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus (Indai) auf.
Die Verwendung inklusiver Sprache hatte Verteidigungsminister Luis Petri in vorauseilendem Gehorsam bereits unter Sanktionsandrohungen verboten. Die Kommunikation im Bereich der nationalen Verteidigung müsse „kurz, klar und prägnant sein und in Übereinstimmung mit den entsprechenden militärischen Vorschriften“, heißt es in der Anordnung.
Eine falsche Auslegung der Begriffe könne „die Entwicklung militärischer Operationen beeinträchtigen und Verwirrung stiften“, weshalb „die korrekte Verwendung der spanischen Sprache erforderlich ist“. Es sei bereits so weit gekommen, dass statt ‚arma‘ (Waffe) das Wort ‚arme‘ verwendet werde.
Als Pinky genug vom Boxer-Macho hat und weiter möchte, sucht das Boxer-Herrchen noch nach beschwichtigenden Abschiedsworten: „Alle dürfen doch weiterhin so reden, wie sie wollen und, wenn sich das E am Ende wirklich einmal durchsetzt, dann habe ich eben ein mache und Sie eine hembre.“
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