piwik no script img

StadtgesprächJürgen Gottschlich aus IstanbulAm neuen Istanbuler Mega-Flughafen von Präsident Recep Tayyip Erdoğan scheiden sich die Geister

Einen Flughafen wie den, den der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan derzeit in Istanbul bauen lässt, könnte man in Europa oder Nordamerika gar nicht mehr realisieren, sagte unlängst der bekannteste deutsche Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt. In dieser Feststellung steckt sowohl Anerkennung als auch Kritik. Anerkennung für den Bau eines Megaprojekts, das in nur vier Jahren buchstäblich aus dem Boden gestampft wurde, und Kritik an der Art und Weise, wie dies durchgesetzt wurde.

Auch in Istanbul gehen die Meinungen über den neuen Mega-Flughafen weit auseinander. Die meiste Einigkeit besteht über den neuen Namen. Entgegen vielen Befürchtungen soll der neue Airport nun doch nicht Recep Tayyip Erdoğan heißen sondern schlicht Flughafen Istanbul, weil, wie Erdoğan in einem seltenen Moment der Selbsterkenntnis sagte, Istanbul doch die wertvollste Marke sei, die das Land habe.

Alles andere wird weiter heftig diskutiert. Da sind zum einen die Arbeitsbedingungen auf der Riesenbaustelle. In dieser Woche begann der Prozess gegen 61 angebliche Rädelsführer eines spontanen Ausstandes im September, der von der Polizei niedergeschlagen wurde und bei dem an einem Tag mehr als 500 Arbeiter zeitweilig festgenommen wurden. Den 61 Angeklagten wird nicht nur vorgeworfen die Arbeit verweigert zu haben, sondern auch andere an der Arbeit gehindert und einen bewaffneten Aufmarsch organisiert zu haben.

Am Prozesstag am Mittwoch wurde das Gericht in einem Vorort von Istanbul von Angehörigen und Unterstützern der Angeklagten regelrecht belagert. Der Richter verlegte die Verhandlung daraufhin in die Kantine, weil das der größte Raum im Gebäude ist, aber dennoch kam nur ein Bruchteil der Interessenten hinein. Die Stimmung war angespannt, die Arbeiter sind wütend, weil ihre Proteste gegen unzulässige Arbeitsbedingungen, verschleppte Lohnauszahlungen und katastrophale hygienische Bedingungen in ihren Unterkünften berechtigt sind. In der letzten Woche musste das zuständige Ministerium offiziell zugeben, dass auf der Riesenbaustelle nicht wie bislang behauptet 27, sondern 52 Arbeiter tödlich verunglückt sind.

Nach wie vor werden auch die ökologischen Folgekosten für den Megabau mitten in einem der letzten Naturhabitate beklagt, oder die bislang schlechte Verkehrsanbindung an das weit entfernte Stadtzentrum.

Doch es gibt auch die andere Seite. Der Bau der Abflug- und Ankunftshalle, die mehr als eine Million Quadratmeter umfasst, sei eine ästhetische Meisterleistung, sagen nicht nur einheimische Propagandisten. Im Kulturteil der FAZ schwärmt Ulf Meyer davon, dass es dem britischen Stararchitekten Nicholas Grim­shaw gelungen sei, dem Gebäude einen Hauch der Kultur Istanbuls zu geben. Die Kultur der Arabesken „findet sich in den Kuppeldächern, die mit runden Oberlichtern perforiert sind“. Der Flughafen vereine „subtil orientalische und europäische Elemente“. Er sei vom seelenlosen Durchgangs- wieder zu einem „Aufenthaltsort geworden, der für die moderne Großstadt die Funktion des mittelalterlichen Marktplatzes übernommen hat“.

Beklagt wird die bislang schlechte Verkehrsanbindung an das weit entfernte Stadtzentrum

So sind denn viele Istanbuler auch stolz auf den neuen Airport, der nach allen Erwartungen ja auch eine Menge neuer Arbeitsplätze schaffen wird und Geld in viele Kassen spülen soll. Erdoğan könnte mit seinem Airport einen ökonomischen Clou gelandet haben. Die Fluggastzahlen steigen, die Lage am Schnittpunkt zwischen Europa, Asien und Afrika ist hervorragend und Turkish Airlines hat sich zu einer Qualitätsairline gemausert, die sich sehen lassen kann. Schon 2019 sollen vom Istanbul Airport so viele Ziele angeflogen werden wie von keinem anderen Airport weltweit.

Hätte man nicht auch die Arbeiter anständig bezahlen und behandeln können?, schrieb Ahmet Hakan, ein bekannter Kolumnist aus Istanbul. Vielleicht, aber warum, wenn man nicht muss?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen