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Stadtgeschichte in HamburgGänge voller Gespenster

Der Performance-Gruppe Ligna gelingt ein eindringlicher Audiowalk durch die verdrängte Vergangenheit von Gängeviertel und Stadthaus.

Vor dem inneren Auge tauchen die Gespenster der Vergangenheit auf Foto: Johannes Koether

Hamburg taz | Mit blinzelnden Augen kommt man kurz vor dem Ende dieses eindringlichen Streifzuges durch die Stadtgeschichte aus dem Dunkel ins gleißende, von glänzenden Fassaden noch gespiegelte Sonnenlicht. Heraus kommt man da gerade aus den Gängen und Höfen des in „Stadthöfe“ umgetauften Stadthaus-Ensembles in der Innenstadt, zwischen dem Axel-Springer-Platz und der Graskellerbrücke – ein Ort des Terrors, einst befand sich hier die Hamburger Zentrale der Gestapo.

Hommage an das Leben“ – zynisch klingt vor diesem Hintergrund der Claim des Stadthöfe-Investors Quantum für seine innerstädtische Erlebnislandschaft: All diejenigen, die während des Nationalsozialismus von der Gestapo hierhin verschleppt worden waren, erlebten Schrecken, Qualen und Tod. Dicht an der Wand stehend, hörte man beim Audiowalk „Schafft zwei, drei, viele Gänge!“ des Performance-Kollektivs Ligna im Rahmen des Kampnagel-Sommerfestivals am Ort des Terrors Berichte von Einzelhaft, Folter und Mord.

Verstörend ist dann auch, dass die über den Eingängen zum Gebäudekomplex und seinen Gängen angebrachten Metallschilder – „Moin Moin“ steht da oder „Bienvenue“ – fast ­exakt im selben Stil geschmiedet sind wie die Losungen über KZ-Toren: „Jedem das Seine“. Ein fatal geschichtsvergessener Umgang mit einem düsteren Kapitel der Stadtgeschichte.

Mit diesen Geschichten noch im Ohr, geht es hinauf auf den Heuberg, einen Platz, auf dem der Business-Improvement-District (BID) Hohe Bleichen/Heuberg gerade zufällig sein „White Dinner“ veranstaltet. Größer kann der Kontrast nicht sein zwischen verdrängter Stadtgeschichte und der blank geschliffenen Gegenwart zwischen Shopping-Zeilen und teuren Hotels und Restaurants.

Verdrängte Gespenster

Mit den 20 anderen, mit denen man zwischen Gängeviertel und Stadthaus unterwegs war, lässt man sich schließlich am Rand all der blütenweiß gewandeten Dinierenden an einem der Tische nieder. Dann wird es wieder dunkel: Die Kopfhörerstimme bittet, wie in einer Seance die Augen zu schließen und Gespenster zu beschwören, nämlich all derer noch einmal zu gedenken, von deren Schicksal man eben erfahren hatte.

Die verdrängten Gespenster der Vergangenheit ins Bewusstsein zu rufen, darum geht es ­Ligna. Eine gute Stunde lang ging man dafür, von einer der 20 unterschiedlichen Tonspuren auf dem Kopfhörer begleitet, gemeinsam vom vor zehn Jahren von Künstler*innen besetzten Gängeviertel der Gegenwart aus durch das Gebiet des einstigen Gängeviertels, von dem nur noch Spuren geblieben sind.

Einst – vom 16. Jahrhundert bis in die 1960er-Jahre – lebten hier Tausende Hamburger*innen: Arbeiter und Verarmte, auch das jüdische Leben in der Stadt hatte bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts hier sein Zentrum.

Eng und dunkel waren die Gassen zwischen den schiefen Fachwerkhäusern, labyrinthisch die Höfe, katastrophal die hygienischen Zustände. Als kommunistisches „Klein Moskau“ und „Verbrecherviertel“ war das Gängeviertel von Bürgertum und Obrigkeit gefürchtet. Seit den 1880er-Jahren fiel es Stück für Stück mehreren „Flächensanierungen“ zum Opfer. Und Sanierung hieß immer: Abriss.

Stadtgeschichte, sichtbar gemacht

Und so streift man in der Gruppe, die sich später – „Schafft zwei, drei, viele Gänge!“ – immer wieder auf- und verteilt, um sich kurz darauf wieder zu versammeln, durch die Straßen; blickt auf verklinkerte oder verglaste Neubauten und in Hinterhöfe; entdeckt dort etwa die Überreste des 1934 abgerissenen „Neuen Tempels“ der Hamburger Reformjüd*innen; tastet sich an Wänden entlang – und erlebt immer wieder eine andere der verdrängten Geschichten.

Schafft zwei, drei, viele Gänge!

Sa, 24. 8., 16/18/19/20 Uhr, Gängeviertel, Valentinskamp 34. Die Audiowalks sind ausgebucht, möglicherweise werden einzelne Plätze frei

Dann bilden die Mitgehenden mit ihren Körpern die engen Gassen nach, durch die sich zwei von ihnen als Polizisten auf Verbrecherjagd tasten. Oder man hört, während man allein die Straße entlang läuft, vom Schicksal einst hier Lebender; von Liebesgeschichten – und immer wieder von Verfolgung, vom Abriss und von der Verdrängung all dessen, was hier nicht sein sollte, nie wieder entstehen soll.

Ein eindringlicher, vielschichtiger kollektiver Gang durch Gänge voller Gespenster ist das. Umfassend recherchiert und klug miteinander verzahnt sind all die Wege, die man da gemeinsam geht. Und mit noch blinzelnden, aber doch ganz anderen Augen schaut man danach auf eine Stadt, die all den belastenden Spuk der Vergangenheit so vehement hat vertreiben wollen. Und die Gespenster doch nicht loswird.

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