Stadtentwicklung: Der Wandel bleibt nicht aus
Das Beispiel RAW-Tempel zeigt, dass längst nicht mehr alle Investoren in natürlichem Gegensatz zu selbstbestimmtem, kreativem Leben stehen. Viele Firmen haben die Zeichen der Zeit erkannt und setzen auf den Imagegewinn, den Off-Kultur für sie abwirft. Kommentar
Direkt hinter dem S-Bahnhof Warschauer Straße entstand vor Jahren ein kleines Utopia: Künstler, Musiker, Akrobaten und Sportler tummeln sich seitdem auf dem Gelände eines stillgelegten Bahnausbesserungswerks. Der "RAW-Tempel" hielt sich trotz finanzieller und struktureller Krisen tapfer. Und dann das: Ein isländischdeutscher Investor kauft das Gelände. Investor, das klingt nach rücksichtsloser Aufwertung, nach Läden, Bürotürmen und Luxusapartments. Nach Gentrifizierung. Auch die RAW-Aktivisten sahen ihren "Freiraum soziokultureller Nutzung" gefährdet. Schließlich befindet man sich in direkter Nachbarschaft zur "Mediaspree". Doch dann kam die große Überraschung: Der Investor will gar keine Büros, sondern ein autofreies Gelände mit Bioläden, generationenübergreifendem Wohnen und einem Atelierhaus. Leider, so entschuldigten sich die vermeintlichen Immobilienhaie, müsse man auch ein wenig "vertretbaren Kommerz" mit an Bord nehmen. Die Künstler waren verblüfft. Das Beispiel RAW-Tempel zeigt, dass längst nicht mehr alle Investoren in natürlichem Gegensatz zu selbstbestimmtem, kreativem Leben stehen. Viele Firmen haben die Zeichen der Zeit erkannt und setzen auf den Imagegewinn, den Off-Kultur für sie abwirft. Dabei werden ursprünglich alternative Utopien zum Trendsetter für Investorenträume: Das gemeinsame Wohnen, Leben und Arbeiten, das dem Investor vorschwebt, praktizieren die RAWler längst. Doch obwohl sich Investorenträume und Off-Kultur scheinbar gut vertragen, wird die Koexistenz mit einem Investor für die Subkultur oft zur Nagelprobe. Subversion lebt vom Spaß und vom Trotz gegen die Verhältnisse. Mit dem Investor, und sei er noch so edel, kommt aber immer die Geldfrage ins Spiel: Projekte, die es in die Rentabilität schaffen, verlieren oft ihren ursprünglichen Charme. Wer es nicht schafft, geht zugrunde oder zersplittert. Das Tacheles durchlebte diesen Prozess bereits. Und auch hinter der Revaler Straße wird es bald nicht mehr so sein wie bisher.
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