Stadtentwicklung: Die verdrängte Debatte
Linke Gegner der Gentrifizierung wettern gegen linke Baugruppen. Szene diskutiert eigene Rolle bei Aufwertung.
Nichts wird derzeit mit mehr Verve in der linken Szene diskutiert: Gentrifizierung, Kiezaufwertung, Luxusbauten. Doch die Grenzen, wo die Verdrängung von Mietern anfängt, verschwimmen. Zusehends geraten sogar Baugruppen, die sich zu Teilen selbst als links verstehen, ins Visier der Gentrifizierungsgegner. Damit wird - nach jahrelangem Schweigen - auch diskutiert, wie Szeneprojekte selbst zur Verdrängung beitragen.
Schon seit Monaten ist es die Baugruppe "Karloh" im Alt-Treptower Karl-Kunger-Kiez, die sich Anfeindungen einer "Initiative gegen Mieterhöhung und Verdrängung" ausgesetzt sieht. In Flugblättern wird der Baugruppe vorgeworfen, Verdrängungsprozesse im Kiez zu verschärfen - und mit der "üblichen neoliberalen Tendenz Privateigentum zu bilden". Dass die Karloh-Gruppe für die Grundsteinlegung zudem eine Reihe Pappeln fällen ließ, komme einer Aufkündigung des sozialen Friedens gleich.
Heika Gröning von Karloh spricht von einem "merkwürdigen Gefühl" ob dieser Kritik. "Wir sind doch selbst in ähnlichen Initiativen organisiert, haben bei den Protesten gegen Mediaspree und die A100 mitgemacht." Sie selbst habe einst Häuser besetzt, kenne einige der Kritiker von früheren Aktionen: "Ich lasse mich jetzt nicht auf die andere Seite stellen." Auch ihre Baugruppe sei gegen Verdrängung - gerade deshalb habe man dieses Modell und das Bauen auf einer Brachfläche gewählt, so Gröning. Als ökologisches, generationen- und lebensweisenübergreifendes Projekt beschreiben sich die 60 befreundeten Baugrüppler.
Die Gegner deuten dies in einem offenen Brief als "Doppelmoral sich als links fühlender, neuer Mittelschichtseliten". Das Schreiben richtet sich an vier Karloh-Mitglieder, die in der linksradikalen Gruppe "Für eine linke Strömung" organisiert sind oder waren. "Auf welcher Seite des Konflikts steht ihr?", fragen die Autoren und fordern den Ausstieg der vier aus der Baugruppe. Gröning lehnt dies ab: "Hier steigt niemand aus."
Auch die Baugruppe "Zur Börse" in der Thaerstraße in Prenzlauer Berg geriet ins Visier. Ende Juni, mitten in den autonomen "Action Weeks", warfen Unbekannte einen Brandsatz auf deren im Bau befindliches Ökohaus. Unverantwortlich nennt Mitinitiatorin Helene Anders den Anschlag. Im Grunde funktioniere ihre Baugruppe doch wie ein selbstverwaltetes Hausprojekt, das ohne viel Geld gleichgesinntes Zusammenleben organisieren wolle. Ökologisch und architektonisch geschmackvoll wolle man bauen. "Wir kommen aus dem Kiez und haben das gleiche Recht, diesen mitzugestalten", so Anders. Nun aber müsse man die Baustelle mit Kameras und Wachschutz schützen.
Die Baugruppen-Kritik ist in der linken Szene durchaus umstritten. Man solle lieber tatsächliche Gegner benennen, so ein Nutzer auf dem Szeneportal Indymedia: "Miethaie, Spekulanten und Stadtentwicklungspolitiker, die Instrumente wie Milieuschutz nicht ausreichend anwenden." Auch der Mediaspree-Aktivist Carsten Joost verteidigt Baugruppen (siehe Text unten).
Damit ist eine Debatte im Gang, die nachholt, was in den 90er-Jahren versäumt wurde - das Reflektieren der Rolle von linken Haus- und Wohnprojekten bei der Kiezaufwertung. Es ist das Schreckgespenst der "Yuppisierung" im Prenzlauer Berg und Teilen Kreuzbergs, das diese Diskussion losgetreten hat. Der Soziologe Andrej Holm sieht Baugruppen denn auch zwiespältig. Zwar sei deren Zahl in Berlin bisher so gering, dass sie nicht nachweisbar zur Verdrängung beitragen würden. Baugruppen stünden aber für einen Trend der Individualisierung und Privatisierung im städtischen Raum. Oft gehe der Einzug der Bewohner in Eigentumsprojekte mit ihrer Entpolitisierung in stadtpolitischen Diskussionen einher, so Holm.
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