Stadtentwicklung: Linke Kulturbanausen
Eigentlich soll am ehemaligen Blumengroßmarkt in der südlichen Friedrichstraße ein Kreativquartier entstehen. Doch Wirtschaftssenator Wolf (Linkspartei) will die Flächen meistbietend verscherbeln.
Das Jüdische Museum hat schon gekauft, andere Kultureinrichtungen sollen folgen. Seitdem der Blumengroßmarkt von Kreuzberg nach Moabit gezogen ist, ist vieles in der südlichen Friedrichstadt in Bewegung gekommen. Für den grünen Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, Franz Schulz, ist das die Chance, das bisher unscheinbare Quartier aus dem Dornröschenschlaf zu reißen. Sein Wunsch: ein Kreativquartier, das auch die Bewohner im sozial schwachen Kiez mit auf den Weg nimmt. Dem stellt sich nun aber Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linkspartei) in den Weg. Er will die Grundstücke meistbietend verscherbeln.
Um dem Kreativquartier ein Stück näher zu kommen, hatte die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Friedrichshain-Kreuzberg am 1. Juli den Senat aufgefordert, "die soziale und nachhaltige Stadtentwicklung" durch ein "nutzungsorientiertes Vergabeverfahren" sicherzustellen. Im Klartext: Die Grundstücke der Berliner Großmarkt GmbH (BGM) sollten nicht in einem "bedingsfreien Höchstbieterverfahren" verkauft werden, sondern zu einem Festpreis, der sich am Verkehrswert orientiert. Ein ähnlicher Kulturbonus wurde zuvor dem Jüdischen Museum gewährt, das die Hälfte der ehemaligen Blumengroßhalle zu einer Akademie umbauen will. Der Umbau nach einem Entwurf des Architekten Daniel Libeskind soll noch im August beginnen.
In den Verhandlungen mit dem Bezirk stellte sich die BGM nun aber quer. Sie will die verbliebenen 3.000 Quadratmeter Fläche der Markthalle und die angrenzenden Grundstücke an den Meistbietenden verkaufen. Auch eine Intervention von Bürgermeister Schulz bei der Wirtschaftsverwaltung brachte nichts. "Die Planungen der BGM für die umliegenden Flächen sind inzwischen (…) zugunsten von Wohnen und Gewerbe vorangetrieben worden", heißt es in einem Schreiben von Wolfs Staatssekretär Jens-Peter Heuer (Linkspartei). Und weiter: "In meiner fachlichen Zuständigkeit für die BGM und als deren Aufsichtsratsvorsitzender muss ich Sie daher um Verständnis bitten, dass ich diesmal Ihrem Wunsch nach einer Festlegung auf den Nutzungsschwerpunkt Kunst, Kultur und Bildung nicht nachkommen kann." Heuer schließt mit dem Hinweis, dass sich interessierte Gruppen natürlich beim bedingungslosen Bieterverfahren bewerben könnten.
Die Friedrichstadt war Ende des 17. Jahrhunderts nach der Dorotheenstadt und dem Friedrichswerder die dritte Stadterweiterung der Doppelstadt Berlin-Cölln. Heute liegt die südliche Friedrichstadt in Kreuzberg und die nördliche in Mitte.
In den 80er Jahren probte dort die IBA-Alt die Wiederentdeckung der Innenstadt als Wohnort. Heute finden sich dort 50 Galerien, das Jüdische Museum, aber auch die Arbeitsagentur und das Zeitungsviertel samt taz.
Das Konzept "Kreativquartier Südliche Friedrichstadt" ist ein Leitbildprozess, den das Bezirksamt 2009 eingeleitet hat. Eines der Ergebnisse ist das "Kunst- und Kreativquartier" (KukQ), dessen Zentrum der ehemalige Blumengroßmarkt werden soll.
Kultur als Entwicklungsstrategie ist auch das Thema der Konferenz "Kunst macht Quartier", die am heutigen Donnerstag in der Forum Factory, Besselstraße 14, stattfindet. Sie dauert von 11 bis 21 Uhr.
Erst im Februar hatte Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) eine "neue Liegenschaftspolitik" angekündigt. Künftig sollten nicht mehr nur finanzpolitische, sondern auch stadtentwicklungspolitische Überlegungen beim Verkauf von Grundstücken eine Rolle spielen. "Das muss aber auch für die Wirtschaftsverwaltung gelten", fordert nun Bezirksbürgermeister Schulz. "Sollte die BGM bei ihrer Haltung bleiben, bleibt eine stadtentwicklungspolitische Chance auf der Strecke."
Wie wichtig dem Bezirk die Sache ist, zeigt die Gründung eines "Projektbüros Kreativquartier", in dem seit 2009 ein Leitbild für die südliche Friedrichstadt entworfen wird. "Das Quartier wird immer interessanter für Galerien, aber auch für Bildungsinstitutionen", sagt der Leiter des Projektbüros, Florian Schmidt. "Die bisherigen Gespräche mit Investoren zeigen, dass unsere Vorstellungen durchaus realistisch sind. Bei einem Bieterverfahren würden solche Initiativen aber den Kürzeren ziehen."
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