Stadtentwicklung: Streit zwischen Gleisen
Der alte Güterbahnhof Grunewald ist ein hundertjähriges Kleinod. Das Ensemble soll einem Möbelmarkt weichen. Anwohner, Bezirk und Land wehren sich.
Verwunschenes Biotop oder Shoppingparadies? Über die Zukunft des früheren Güterbahnhofs Grunewald ist zwischen Bezirk, Anwohnern und dem Unternehmer Kurt Krieger ein Streit entbrannt, bei dem keine Lösung in Sicht ist. Krieger, Chef eines Möbelimperiums, will zwischen Avus, Halenseestraße und Bahngleisen ein Möbelhaus mit eigener Autobahnabfahrt entstehen lassen. Anwohnern am Eichkamp, Bezirkspolitiker und Senat ist das ein Horrorszenario - sie sorgen sich um ihre Lebensqualität und die Einzelhändler im Kiez. Vor allem fürchtet die Bürgerinitiative (BI) "Zwischen den Gleisen", dass Krieger noch dieses Jahr mit Abrissarbeiten beginnt und vor denkmalgeschützten Gebäuden nicht Halt macht.
Derzeit wittert das Gelände vor sich hin. Kein Wunder - es ist schwer zugänglich, eingeklemmt zwischen mehrspurigen Straßen und Gleisen. Von Osten gelangen Fußgänger über einen schmalen, langgezogenen Tunnel auf die Cordesstraße, von der anderen Seite geht es durch eine Unterführung zum S-Bahnhof Messe Süd. Die Corbesstraße ist mit Steinen grob gepflastert, sie ist denkmalgeschützt. Unter Schutz steht auch die Handvoll Arbeiterhäuser am Rand. Die Erdgeschossfenster sind vernagelt, die Gartenzäune hängen schief und schwanken leicht im Wind. Gelbe, umrankte Mülltonnen stehen auf einer Wiese. Ein Relikt vergangener Zeiten: Die letzten Bewohner sind weggezogen, dank großzügiger Zahlungen Kriegers. Ebenso erging es den wenigen Gewerbetreibenden.
Krieger gehört das Areal. Er will hier für 75 Millionen Euro einen "Möbel Höffner" mit 40.000 qm und einen "Sconto"-Markt bauen, dazu 750 Parkplätze. Das Möbelzentrum soll von Westen her zugänglich gemacht werden. "Für uns würde das eine enorme Verkehrsbelastung bedeuten, dabei leiden wir schon unter dem Schleichverkehr am Eichkamp", sagt Cornelia Biermann-Gräbner von der Bürgerinitiative.
Konzept "nicht umsetzbar"
Im Bezirk sorgt man sich mehr noch um die Wirtschaftsstruktur: Einzelhändler an der Reichs- oder Kantstraße würden leiden, fürchten die Grünen, die eine Zählgemeinschaft mit der SPD in Charlottenburg-Wilmersdorf bilden. SPD und CDU sehen das ähnlich, der Stadtplanungsausschuss befand Kriegers Konzept unlängst für nicht umsetzbar. Auch der Senat sagt "nein, danke". Er müsste den Flächennutzungsplan ändern, um großflächigen Einzelhandel zu ermöglichen. "Das haben wir nicht vor", sagt Mathias Gille, Sprecher der Stadtentwicklungsverwaltung.
Krieger lässt sich nicht entmutigen von so viel Gegenwind - ähnlich wie bei seinen Plänen am Pankower Rangierbahnhof. Obwohl noch kein Baurecht in Sicht ist, bereitet der bundesweite Branchenzweite (hinter Ikea) Abrissarbeiten für nicht denkmalgeschützte Häuser vor. "Wir haben einen langen Atem", sagt der zuständige Mitarbeiter Michael Kollmann. Er weist jedoch Anschuldigungen der BI zurück, Denkmalschutz zu missachten. "Wir reißen keine denkmalgeschützten Häuser ab."
In der Tat sind einige Gebäude auf dem Areal nicht geschützt. Laut Bezirk scheiterte ein weitergehender Schutz bisher an Kapazitäten im Landesdenkmalamt. Dieses war für eine Stellungnahme am Freitag nicht zu erreichen. Die Grünen fordern nun, alle historischen Wohn- und Gewerbegebäude zu erhalten.
Die Bürgerinitiative bleibt misstrauisch: "Wir beobachten täglich die Vorgänge auf dem Gelände", sagt Biermann-Gräbner. "Notfalls benachrichtigen wir sofort Polizei und Bauaufsicht."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!
Bodycams bei Polizei und Feuerwehr
Ungeliebte Spielzeuge
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach