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Stadt der äffischen Engel

Die Anaheim Angels gewinnen durch ein 4:1 gegen San Francisco im entscheidenden siebten Spiel die World Series und versetzen ihre zu Infantilität neigenden Fans in himmlische Ekstasen

von MATTI LIESKE

Die Anaheim Angels haben ohne Zweifel die nervtötendsten Fans in der Major League Baseball (MLB). Erwachsene Menschen, die fast alle einen Stoffaffen mit sich führen, entweder im Arm, um den Hals gelegt oder auf die Mütze genäht. Leute, die Engelsflügel auf dem Rücken tragen und das ganze Spiel hindurch in Gebetsstellung verharren. Dazwischen der eine oder andere falsche Elvis sowie ein echter Pierce Brosnan und ein echter John Travolta.

Im Zentrum des Geschehens steht jedoch der Affe, der „Rally Monkey“, ein Glücksbringer, der immer dann zum Einsatz kommt, wenn die Angels im Edison Field zurückliegen und eine Aufholjagd Not tut. Dann wird er von den Zuschauern wild geschwenkt, hüpft auf der Anzeigentafel herum und erscheint sogar in Filmszenen, etwa wenn die Elbenkönigin Galadriel in den magischen Brunnen schaut. Was erblickt sie dort wohl? – Einen infernalisch grinsenden Affen natürlich. Nun ja, bei einem Team, das der Disney Company gehört, sollte man vermutlich schon froh sein, wenn nicht plötzlich Donald Duck auf dem Pitcher’s Mound steht.

Bei den Spielern scheint der äffische Zauber komischerweise zu wirken, ihre Aufholjagden sind berüchtigt. Das bekamen auch die San Francisco Giants zu spüren, als sie in Spiel sechs schon 5:0 führten, kurz vor dem Gewinn der World Series standen und schließlich doch noch gegen die Angels und ihren Rally Monkey mit 5:6 verloren.

Am Sonntag aber hatten die Angels dann keine Hilfe aus der Tierwelt mehr nötig. Es reichten gutes Pitchen, beileibe keine Selbstverständlichkeit in dieser World Series, welche die punktreichste aller Zeiten war, und ein starkes drittes Inning mit drei Runs. Fast mühelos gelang Closer Troy Percival am Ende das letzte Fly Out durch Kenny Lofton, das 4:1 im entscheidenden siebten Spiel bedeutete die erste Meisterschaft in der 42-jährigen Geschichte des Klubs, der im Übrigen weiterhin zum Verkauf steht – mitsamt seinem Affen.

Die Giants hatten in diesem Match, das nach dem berauschenden Spiel am Abend zuvor wie ein verspätetes Katerfrühstück wirkte, kaum eine Chance. Auch nicht Barry Bonds, der überragende Baseballspieler der Gegenwart, der fast tatenlos zusehen musste, wie ihm nicht nur der ersehnte Ring für den World-Series-Gewinn durch die Finger glitt, sondern auch der Titel des besten Spielers im Finale. Den bekommen nur Sieger, in diesem Fall Troy Glaus, die wandelnde Kautabakvernichtungsmaschine aus Anaheim.

Bonds zeigte sich als cooler Verlierer. „Sie haben uns ausgespielt, sie haben es verdient, sie haben uns geschlagen, sie sind der Champion“, sagte der 38-Jährige und reagierte, nach seinem eigenen Tagwerk befragt, gewohnt patzig. „Was wollt ihr von mir? Soll ich drei Homeruns schlagen?“

Schlecht wäre das nicht gewesen, doch diese Gelegenheit bekam er gar nicht. Barry Bonds ist Opfer einer im Sport ziemlich einmaligen Konstellation, die es beim Baseball gestattet, den besten Mann des Gegners ganz simpel kaltzustellen. Man wirft den Ball einfach nicht zu ihm und zwingt seine Mannschaftskollegen, die Arbeit zu erledigen. 13-mal widerfuhr dies Bonds, womit er den von Babe Ruth gehaltenen Rekord für Walks um zwei übertraf. Wenn allerdings jemand zu ihm pitchte, kam es auch gleich, im wahrsten Sinne des Wortes, knüppeldick. Bonds traf in der Serie 8 von 17 Bällen, schlug vier Homeruns und zwei Doubles, erreichte bei 30 Auftritten 21-mal die erste Base und erlief selbst drei Punkte. Allerdings trug der Outfielder mit einigen Aussetzern in der Defensive, vor allem in Spiel sechs, auch dazu bei, dass sein Team letztlich den Kürzeren zog.

Obwohl es im 17. Jahr seiner Karriere wieder nichts wurde mit dem Titel, ist Bonds den Ruf des kompletten Losers losgeworden. Bislang hatte er in den Play-offs stets jämmerlich gespielt, nach der Vorstellung diese Saison dürften viele die Einschätzung von Baseball-Legende Reggie Jackson teilen: „Bonds ist der dominierendste Typ, den ich in 35 Jahren Major League Baseball gesehen habe.“ Und Willie Mays, Patenonkel von Bonds und eine noch größere Legende, sagt geradezu demütig: „Wenn die Leute meinen, Barry ist die Nummer eins, werde ich nicht widersprechen. Solange ich die Nummer zwei bin.“ Bonds, der von sich behauptet, er sei „geboren, um einen Baseball zu schlagen“, denkt noch längst nicht ans Aufhören. „Das wird uns nicht nachhängen“, verspricht er, „wir gehen ins Training und fangen von vorne an.“ Und fügt hinzu: „Ich erzähle euch keine Lüge, es hat wirklich Spaß gemacht.“

Weniger Spaß machte die rein kalifornische World Series offensichtlich den Fernsehzuschauern. Die Einschaltquoten beim Sender Fox erreichten ein Rekordtief, besonders natürlich im Osten, wo die Leute – vor allem seit Anaheim die New York Yankees in Runde eins aus den Play-offs gekegelt hatte – mit Engeln und Affen herzlich wenig anfangen können.

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