Staatsstreiche in Lateinamerika: Normale Form des Machtwechsels
Das Gespenst schien gebannt, doch nun kehrt es zurück. Anlässlich der jüngsten Ereignisse in Honduras eine kleine Geschichte der Militärputsche in Lateinamerika.
Noch vor drei Jahrzehnten hätte ein kleiner Staatsstreich in einer mittelamerikanischen Bananenrepublik, noch dazu ein relativ unblutiger, kaum Staub aufgewirbelt. In den deutschen Blättern wäre er auf der Auslandschronik als Kurzmeldung unaufgeregt vermerkt worden. War doch im Lateinamerika des 20. Jahrhunderts der Staatsstreich fast die normale Form des Machtwechsels.
Über 320 Putsche auf dem Subkontinent - nicht alle davon geglückt - kennt die Statistik: von der Revolte in Panama, mit der die USA 1903 die Provinz von Kolumbien loslösten, um ihren Kanal zu bauen, bis zum blutigen Coup raffgieriger Militärs gegen den haitianischen Präsidenten Jean-Bertrand Aristide im Jahre 1991. Einsamer Rekordhalter ist Bolivien mit 56 Staatsstreichen, gefolgt von 36 in Guatemala. Alle im vergangenen Jahrhundert. Insgesamt hat es allein Bolivien in seiner Geschichte als unabhängiger Staat auf 169 Staatsstreiche gebracht.
Der deutsch-italienische Schriftsteller und Kriegsreporter Curzio Malaparte definierte diese Form des Regierungswechsels in seinem Traktat "Die Technik des Staatsstreichs" als "Zuflucht der Macht, wenn sie Gefahr läuft, die Macht zu verlieren". Das trifft auf Lateinamerika nur begrenzt zu. Manchmal waren es Präventivmaßnahmen gegen die Machtergreifung unbequemer Personen, in anderen Fällen reine Symptome interner Auseinandersetzungen in der Militärführung.
Traumatisch in Erinnerung bleibt der 11. September 1973 in Chile, als General Augusto Pinochet die Herrschaft des linken Präsidenten Salvador Allende blutig beendete und damit die jahrzehntelange demokratische Tradition des Andenlandes über den Haufen warf. Unter den Putschisten finden sich aber auch esoterische Spinner wie Maximiliano Hernández Martínez in El Salvador, der seine Gewaltherrschaft auf dem Blut von 30.000 indianischen Bauern errichtete. Oder machtbesessene Rassisten wie Guatemalas Jorge Ubico, der die indianische Bevölkerung zu Zwangsarbeit verpflichtete. Alfredo Stroessner, Abkomme bayerischer Einwanderer, regierte Paraguay 35 Jahre (1954-1989) mit eiserner Faust, Alberto Natusch Busch in Bolivien wurde im November 1979 nach zwei Wochen wieder abgesetzt.
Fast alle Staatsstreiche kamen von rechts. In wenigen Ausnahmen putschten sich reformistische Militärs an die Macht, wie Juan Velasco Alvarado in Peru oder Omar Torrijos in Panama, beide im bedeutsamen Jahr 1968. Und in der Regel konnten sie mit dem Segen Washingtons rechnen, wenn die Putsche nicht gar in den US-Botschaften geplant wurden. Für die US-Regierungen waren die Generäle jahrzehntelang die bevorzugten Partner. Zivilregierungen galten als unzuverlässig und korrupt. Politiker denken an die nächste Wahl und verlieren dabei oft die langfristigen Interessen Washingtons aus den Augen. Militärs müssen keine Wahlen fürchten. Oft genug war denn auch das von den Zivilisten verursachte "Chaos" oder die "Korruption" der Regierung der Vorwand für einen Putsch.
Der Ablauf folgt bewährten Mustern: In den frühen Morgenstunden dringen Militärs in die Schlafzimmer der wichtigsten Politiker ein, nehmen diese fest oder bringen sie nötigenfalls um. Die Schlüsselstellen der Macht und die Redaktionen der Medien werden militärisch besetzt. Durch die Straßen rollen die Panzer, im Radio erklingt Marschmusik und irgendwann das "Pronunciamiento", die Erklärung der Militärjunta, die versichert, alles im Griff zu haben. Oppositionelle werden präventiv eingesperrt, die Verfassung suspendiert, eine nächtliche Ausgangssperre verhängt. Bleibt alles ruhig, kehrt nach wenigen Tagen Normalität ein. So viel Blut wie in Chile 1973 oder nach der Machtergreifung der Armee in Argentinien 1976 fließt selten.
Ende der 1970er-Jahre waren Demokratien wie Costa Rica oder Venezuela die rare Ausnahme auf dem Subkontinent. In den meisten Ländern herrschten die Generäle. Die meisten trieben ihre Länder in den wirtschaftlichen Bankrott und mussten das Ruder zähneknirschend wieder an Zivilisten abgeben.
Seither wird kaum noch geputscht, und wenn, dann schieben die Militärs einen zivilen Präsidenten, der irgendwie durch die Verfassung gedeckt ist, vor. Erst 2001 nahm die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) einen Passus in ihre Statuten auf, der Sanktionen im Falle eines Bruchs mit der verfassungsmäßigen Ordnung vorsieht. Bis dahin mussten Putschisten keine Konsequenzen fürchten. Honduras ist das erste Land, auf das diese neue Bestimmung nun angewandt wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen